Der sogenannte Trieb

Etwas als Trieb zu bezeichnen bedeutet zu behaupten, er unterliege nicht unserem Willen und wäre damit ein natürliches Phänomen, dem man Rechnung zu tragen habe, d.h. den man akzeptieren sollte als etwas, dem man Folge leisten müsse. Freud hat letztlich dafür gesorgt, dass Menschen hinsichtlich des Triebes dahingehend indoktriniert wurden, ihn als genuin und damit als gesund zu betrachten. Also leben die meisten Menschen ihre Triebe einfach aus und kultivieren den Eros als Ausdruck einer Haltung des Aneignenwollens, als unhinterfragbare Intentionalität des Daseins. Die europäische Kultur speist sich seit über 2300 Jahren aus diesem Denken der Ichzentrierung.

In der über 2500 Jahre alten asketischen Yogalehre wird die Auffassung vertreten, dass der Trieb eigentlich eine Störung ist, ein Nichtfließen der Energien ins Geistchakra, das die Ichbezogenheit aller Triebe einsieht, überwindet und heilt. Das Christentum verehrt die Keuschheit, sagt aber nicht, wie ich diese Störungen durch Triebe überwinde. Dies vermittelt aber die Yogalehre, die den Trieb als Blockade erkennt, als eine Stauung des freien Flusses von Energien. Auch seelische Verletzungen können geistige Energien extrem blockieren. Und je disharmonischer das Innere eines Menschen ist, desto stärker sind seine Triebkräfte. Der Buddhismus warnt daher vor allen negativen Emotionen, durch die sich der Mensch eben auch selbst schadet. Der Trieb als solcher hat mit Antrieb wenig zu tun. Dieser beruht auf einer organisierten geistigen Verfassung, durch die ich viele körperliche Funktionen zu steuern lerne. Traumata somatieren sich, deshalb sind sie nicht ohne körperliche Übungen überwindbar. Der Flow nach Yogaübungen bezeugt, dass die positive Botschaft in allen Zellen angekommen ist und ich nun bereit bin für die weitere affirmative Informierung.

Durch die Körperübungen des Yoga werden innere Blockaden und Spannungen aufgelöst. Auch die Kontrolle der Gedanken über den Rajayoga bewirkt in Kombination eine Transformation des Inneren und des Geistes. Hier werden Instrumentalisierungen von Menschen abgelehnt für die Entwicklung der Seelenschau als höchster Form der Intuition auch sich selbst gegenüber. Objektive Introspektion wird so möglich. Es versteht sich von selbst, dass über diesen Weg Traumata aufgelöst werden können, denn es gelingt das Loslassen von negativen Erfahrungen für ein Erleben von Sinn und Fülle durch die Askese. Man kann auch einfach sagen: Die Belohnung durch die Askese ist die Glückseligkeit, die dem vermeintlichen Glück durch Sexualität gegenüber steht. Man muss und kann sich also entscheiden, welchen Weg man gehen will. Allerdings scheint es so zu sein, dass mentale Probleme durch Sexualität nicht verändert werden können. Es bleibt beim Status Quo, elementare Veränderungen kommen auf diesem Wege nicht zustande. Es gibt auch einen Widerspruch zwischen hoher Spiritualität und Sexualität. Das ist der Grund, warum die katholische Kirche am Zölibat festhält. Aber alles Weltliche ist konträr organisiert und hält Sexualität für Aufklärung und Freiheit. Dieser Propaganda kann sich nicht jeder entziehen. Wahre innere Freiheit jedoch erlangt man nur über den Verzicht bzw. die Einsicht in die Determinierung durch den Eros.

Es geht sogar so weit, dass die Herzenstiefe, die Empathie und die Intuition durch Sexualität gemindert werden und das höchste Wissen über das  Sein nicht erreicht wird. Wir werden hier von den gunas (Grundeigenschaften der Natur: Aktivität, Trägheit und Ausgeglichenheit, die nicht mit spiritueller Gelassenheit identisch ist) und den asuras (Leidenschaften) beherrscht und gewinnen nicht den Durch- und Überblick einer freiwilligen und gewaltlosen Askese. Wenn wir also das Leben als ein Streben zur Vollkommenheit und Wahrheit betrachten, kommen wir um die Askese nicht herum. Erfüllung finden wir dann in den Offenbarungen. Wir werden frei für Gottes Wort und bleiben verankert in der Vertikalität, durch die das Negative der Welt von uns abfällt und Heilung stattfindet in der Konzentration auf ein freies Selbst, das sich erkennt und den Schleier der Maya lüften kann.

siehe auch: Arthur Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung. Köln 1997

Ein wirklich guter Staat

Ein demokratischer und ethisch verantwortlicher Staat hat das Wachstum und die Entwicklung des Einzelnen zu garantieren sowie die Gesundheit seiner Bürger zu schützen. Also besteht Gerechtigkeit immer in der Wahrung der Heterogenität und deren positive Einflüsse auf die Gesellschaft. Bei aller Rede um Integration darf also nicht vernachlässigt werden, dass jeder einzelne Bürger auch die Gesellschaft mehr oder weniger kulturell beeinflusst, sich also eben nicht gnadenlos anpasst, sondern auch neue Impulse setzt. Diese Kultur der Offenheit und Durchlässigkeit etabliert ein Gesundheits- und Entfaltungssystem, denn wir leben vom lebendigen Austausch. Eine Zelle, die sich abschottet und ausgrenzt, stirbt ab – so die Gesetze des Organischen. Jede Gesellschaft braucht kulturelle Erneuerung, um nicht zu degenerieren. Das gegenseitige Beweihräuchern in einschlägigen Blasen der Gleichgesinnung ist nur eine Art Inzest, der die Schwächen potenziert und zementiert. Für den Andersgesinnten hat man nur noch Hass und Ressentiment übrig und will ihm die Stimme nehmen. Heribert Prantl stellt zurecht fest, dass die Hölle des Dritten Reiches Anlass für unser Grundgesetz gewesen ist. Die Grundrechte stehen aber doch ständig auf der Kippe, wenn allgemeine Interessen gegen Einzelinteressen ausgespielt werden und die Instrumentalisierung von Menschen als legitim betrachtet wird.

Dort, wo der Staat Menschen sichtbar zu schädigen beginnt, zeigen sich seine eigenen Schwachstellen, seine Unzulänglichkeit. Deshalb ist es wichtig, hier aufmerksam zu bleiben und diese Tendenzen auch deutlich zu kritisieren. Das fängt schon bei einem notenzentrierten Leistungsdenken in der Schule an. Wir wissen heute, dass Noten und Intelligenz nicht immer oder auch immer seltener korrelieren, legen aber immer mehr Wert auf diese doch fragwürdigen Unterscheidungskritierien, die dann zur Hierarchisierung einer Gesellschaft führen sollen. Elite ist dann das, was sich anpasserisch hochgebuckelt hat und nun nach unten tritt. Primitivsmen haben immer Hochkonjunktur. Letztlich geht es aber nicht in erster Linie um Systemunterwerfung, sondern um Systemerweiterung und -erneuerung wie bei der Autophagie der Zelle. Und nur der behinderungsfreie Informationsfluss aller Zellen garantiert die Gesundheit des Ganzen. Unbeliebte und entwicklungsferne Jobs müssen demnach gut bezahlt werden, damit hier ein gerechter Ausgleich stattindet. Es müssen Anreize geschaffen werden, anstatt Zwänge zu etablieren und Menschen zu diskreditieren. Das ist und war nie eine Lösung, aber es wird weiter polarisiert. Sanktionierungen und Schädigungen von Menschen dürfen niemals als Möglichkeit staatlicher Intervention salonfähig werden. Wenn ein Staat zu viele kranke Menschen hervorbringt und sie existenziell schädigt, liegt er auch in den letzten Zügen. Anstatt Menschen zu schwächen, sollten die Selbstheilungskräfte aktiviert werden für ein menschenwürdiges und glückliches Leben in Aktivität und Kontemplation.

Und sollte ein Staat nicht wie in Bhutan sich für das Glück der Menschen verantwortlich zeigen? Wir haben die Relikte des Dritten Reiches noch lange nicht bewusstseinsmäßig überwunden, auch wenn sich so viele ständig empören. Glück besteht auch  in der Balance zwischen Arbeit und Freizeit. Wir müssen in unserer freien Zeit zu Bewusstsein kommen dürfen, was wir wirklich brauchen und was nicht. Das sinnlose Antreiben einer Maschinerie von Arbeit und Konsumverhalten ist destruktiv und führt dazu, dass sich Menschen dauernd entschädigen durch Schädigung der Umwelt, der Natur und anderer Menschen und letztlich ein Klima der Spaltungen akzeptieren. Die aggressive Dynamik schafft Unfrieden und verletzt die Würde. Toleranz ermöglicht eine Kultur des Gönnens und der Dankbarkeit und vor allem der Achtung. Kritik hat die Funktion des Willens zum Bessermachen für ein neues Bewusstsein, das uns tiefer blicken lässt gegen simple Propaganda und Populismen. Wer hier wen stabilisiert und bestätigt muss neu überdacht werden. Das Vordergründige ist eben selten die Wahrheit.

Rechtskonservativismus

Konservative haben oft ein negatives Menschenbild und sehen die menschliche Freiheit und den freien Willen als etwas zutiefst Suspektes – zumindest hinsichtlich der Allgemeinheit. Deshalb misstrauen sie auch der Demokratie. Überall, wo repressive Gesetze erlassen werden, ist ihre Handschrift erkennbar. Sie halten den Menschen für faul, schlecht und dumm, nehmen sich aber als selbsternannte Elite davon aus. Eigentlich enthält ihr Verhalten diktatorische Neigungen, denn sie betrachten primitiverweise Zwang, Gewalt und Sanktionen als Mittel der Lösung von Problemen, anstatt zu fördern, zu motivieren, zu unterstützen und zu überzeugen und vor allem die Gesundheit nicht zu beschädigen. Zu allem fehlen ihnen offenbar die intellektuellen Voraussetzungen.

Wir wissen alle, dass diese Welt kein Paradies ist, aber man darf sich nicht hinreißen lassen, Menschen zu schädigen, solange sie nicht kriminell geworden sind. Es ist deutlich, dass gerade die Rechten das Land spalten durch eine miese Propaganda in Menschen, die „das Ding am Laufen halten“ – so Frau Karrenbauer – und Menschen, die vermeintlich nichts leisten. Die vollständig fehlende Differenzierung ist den Rechtskonsverativen und den religiösen Fundamentalisten bzw. Dogmatikern gemeinsam. Beide stellen oft falsche Zusammenhänge her und falsche Ursache-Wirkungsverhältnisse selbst gegen den Papst (!), um Menschen hinsichtlich der Notwendigkeit von Repressivität und Gewalt gegen Menschen zu manipulieren. Sie geben simple (populistische) und dumme Antworten auf komplexe Sachverhalte. Das schadet Menschen sehr. Man will auch nicht einsehen, dass dieses Verhalten so schädigt, dass Menschen ihre Gesundheit verlieren und damit oft ihre Arbeitsfähigkeit. Dass sich die nun auch noch einen christlichen Anstrich geben, verwundert doch sehr. Eigentlich kann man sagen, dass der Rechtspopulismus in Deutschland den Konservativen zu verdanken ist, denn man will andauernd verächtlich Schuldige produzieren.

Tatsache ist, dass Deutschland kein gesundes Land ist und keine wirkliche Toleranz für Vielfalt (auch der Arbeit) vorhanden ist. Es ist nicht nur der nine to five-job, sondern auch die vielen anderen Anstrengungen, die gesunden Fortschritt bewirken und erwirken wollen. Aber man polarisiert lieber und diskreditiert die meist gesundheitlich schwer angeschlagenen 2,5 Millionen Menschen ohne Anstellung  (wohlgemerkt von ca. 83 Millionen Menschen insgesamt!). Was stimmt also mit diesen „Konservativen“  nicht? Keine konkrete Anstellung zu haben ist nicht gleichbedeutend damit, keine Arbeit zu haben. Arbeit generiert Sinn und Bedeutung. Jeder Mensch braucht diese Identifikation. Und dass nicht jedes Ding am Laufen gehalten werden sollte, zeigt ja die Resistenz in der Einsicht gegenüber eines extrem zerstörerischen Verhaltens in Bezug auf diese Erde und ihre endlichen Ressourcen. Diese Rücksichtslosigkeit setzt sich dann fort in schlimmen Ressentiments denjenigen gegenüber, die solche Haltungen in Frage stellen und zu einem bewussteren, gesünderen und nachhaltigerem Leben mahnen. Die Ignoranz der Probleme, die gerade das laufende Ding erzeugt, ist symptomatisch für eine konservative Politik, die sich nicht ändern will und damit kriminelle Unternehmen auch noch hofiert.

Es sind in diesem Milieu die oft brutalen Außenansichten von Situationen und Menschen, die noch an den Nationalsozialismus erinnern. Dieses Gedankengut lebt hier manchmal doch recht lauthals weiter. Diejenigen, die gerechtere Modelle andenken, werden hier verlacht und verleumdet. Politik muss nicht primitiv sein, ist es aber, wenn das Menschenbild nicht korrigiert und viel zu wenig integriert wird aufgrund von massiven Vorurteilen. Und ohne Gesundheit ist schwer etwas zu erreichen. Fragen wir uns also, wie wir ein gesünderes und verständnisvolleres Klima schaffen können. Mit den Rechtskonsverativen wird dies nicht gelingen, denn die haben ein großes Interesse entgegen ihrer Behauptungen an Spaltungen, Desintegration und Hierarchisierungen. Sie bezeichnen selbst kranke Menschen als arbeitsscheu. Hitler lässt grüßen! Und warum zahlen nicht die vielen Milliardäre in Deutschland den Sozialstaat, denn ihr Reichtum beruht auf der Ausbeutung von Menschen – das wäre hier nur ein Griff in die Portokasse. Der Nationalsozialismus lebt dort weiter, wo Zwang, Gewalt, Ausgrenzung und Abschottung, Schädigung von Menschen und Diffamierung als die Mittel der Lösung betrachtet werden.

Tatsachen, Wahrscheinlichkeiten versus Meinungen und Vorurteile

Immer wieder muss darauf hingewiesen werden, dass Meinungen und Vorurteile keine Tatsachen sind und sogenannte Wahrscheinlichkeiten oft nur auf heillosen Unwahrscheinlichkeiten beruhen. Selbst in gebildeten Kreisen bedenkt man nicht diese wichtigen Unterschiede, die zu diversen Populismen führen gegen die klärende Intention des Differenzierens, das uns im Alltag offenbar eher schwer fällt. Wir begnügen uns schnell mit Vorurteilen, Unterstellungen und fragwürdigen Ideologien, anstatt nachzudenken, ob das alles so in Ordnung ist, also überhaupt stimmen kann. Sicher, wir haben das Bedürfnis, uns zu äußern, aber wir sollten das möglichst direkt tun, denn wir erhalten so eine Richtigstellung der vielen falschen Annahmen. Es ist die Korrektur, die der Diskurs ermöglicht und damit lösungsorientiert ist.

Alles Indirekte ist lösungsvermeidend. Hier wird deutlich, der Sender möchte auf seinen Vorurteilen und Unterstellungen bestehen und sie zu Wahrheiten stilisieren, die sie nicht sind. Ein Mangel an Reflektionsvermögen verbirgt sich auch dahinter, denn die Aussagen könnten ja durch andere revidiert werden und man müsste neu denken. Aber das passt dem Ideologen nicht und so versteckt er sich hinter indirekten Mitteilungen, die viel über seine eigene Verfassung verraten, aber nichts über den Gemeinten aussagen. Die Vermeidung des Direkten ist ein Ausdruck von Hinterhältigkeit, die solche Menschen dann auch in anderen Zusammenhängen gerne an den Tag legen und somit Menschen vorsätzlich schaden. Das Indirekte ist also kein Weg zur Wahrheit, sondern die Haltung, die zu unlösbaren Konflikten und Streitereien führt und damit den Unfrieden etabliert. Alles Indirekte, weil es nur den Sender überhöht, der sich hier hoffnungslos selbst überschätzt, kann also nicht als Philosophie gelten, denn es führt die vorsätzliche Verdunkelung (maya) und nicht zum vollkommenen Wissen des brahma zumindest als Intention. Daran müssen wir uns messen lassen, was wir als Denkende dazu beitragen. Verfehlen wir diesen Anspruch, diskreditieren wir auch diese Berufung, Wir gelangen zum höchste Wissen über die Einsicht, über das denkende Wissen, das sich aber immer dann in Bewegung setzen muss, wenn gegen den höchsten Auftrag verstoßen wird. Hier müssen wir in den Dialog gehen, mag er auch noch so unangenehm sein. Dieser Dialog will nicht Beziehung schaffen, wo sie nicht gewollt ist, sondern möchte die Verzerrungen auflösen, die entstehen, wenn Tatsachen nicht von Meinungen und Vorurteilen geschieden werden.

Sicher, es ist unangenehm, wenn man Vermutungen direkt ausspricht, aber eine Situation wird dadurch immer auch geklärt. Man vermutet einiges und schließt vieles zurück, aber Wissen ist das nicht. Wir müssen also offen bleiben für jede Form der Korrektur, auch der Selbstkorrektur, wenn Vermutungen zu scheinbaren Wahrheiten mutieren. Bei sehr guter Introspektion und Selbstkritik offenbart sich der eigene Schatten. Den sollte man kennen und sich fragen, ob man aufgrund von Vermutungen verurteilt oder eben offen bleibt für Richtigstellungen. Alles Indirekte verzögert die Wahrheitsfindung erheblich und behindert auch Heilungsprozesse vehement. Aber auch daran hat nicht jeder ein Interesse. Soll der andere doch leiden und krank bleiben, ich stehe auf jeden Fall so besser da und dokumentiere durch die Verweigerung direkter Rede:  „Ich habe doch gar nichts damit zu tun…“

Das Unwahrscheinliche wird nicht wahrscheinlicher, wenn ich die Gegenrede eigentlich nicht hören will. Man steckt den Kopf in den Sand und meint, nun hätte man gesprochen und Widerrede sei nicht erlaubt. Der Hintergrund solchen Verhaltens ist wenig sympathisch und eigentlich menschenfeindlich. Es wundert hier nicht, wenn diese Misanthropie sich auch im restlichen Denken zeigt und seine seltsamen Blüten treibt. Der Wille zur Verletzung ist stärker als der Wille zur Versöhnung. Und damit wird es für so Geschädigte  auch nicht möglich, solchen Menschen zu vergeben, da sie keine Einsicht zeigen. Hier bleibt nur das Bedauern auch darüber, dass tiefes Denken nicht das Ziel solcher Menschen ist, denn dafür müssen wir Gesicht zeigen und nicht in die falsch verstandene spirituelle Haltung abgleiten, die vermeintlich vor allem schützt. Sie vermag aber nur denjenigen zu schützen, der das höchste Wissen anstrebt und die Wahrheitsfindung nicht blockiert – gerade dann nicht, wenn für andere viel davon abhängt oder -hing. Die Zeit, die das kostet, kann man sinnvoller verbringen.

Völlig Einsichtslose sollte man schlichtweg vergessen und sie Ihres Berufes nicht für würdig erachten, der offenbar keine Berufung ist, denn der zur Wahrheit Berufene ist ihr inniglichts verpflichtet in allen seinen Handlungen. Wer sich nur detailverliebt dem akademischen Betrieb verschrieben hat, der hat keinen Zugang zum Ganzen des göttlichen Wissens, das den tiefen Wandel bewirkt zum bedingungslosen Selbstsein in Verbindung mit höchster Weisheit. Somit wäre alles Indirekte Ausdruck der fehlenden Erleuchtung, eines Mangels an Licht. Und wer befürchtet, er würde “ das Auge des Adlers“ (Thomas von Aquin) verlieren, dem sei versichert, dass Beobachtung eine Haltung ist, die man nicht einbüßt, wenn man in den Dialog tritt. Und der verhindert die Sabotage.

Antisemitismus

Anlässlich der Wiederausstrahlung des Films Holocaust nach 40 Jahren sollte man den Hintergrund des Antisemitismus beleuchten, denn das Prinzip der Fremden- und Andersfeindlichkeit ist absolut nicht überwunden. Menschen ziehen es vor, aus narzisstischen, bequemlichen und hedonistischen Gründen in ihren Blasen zu leben, anstatt sich geistig (und körperlich) zu bewegen. Sicher, man sucht seinesgleichen, aber man muss offen bleiben für den Diskurs, um eine Dialektik der Aufklärung zu ermöglichen. Letzte Wahrheiten wissen nur ganz wenige, die Meisten müssen sich über das, was ist und was werden soll, verständigen. Das Leben in Blasen ist nichts anderes als die Glorifizierung der Nationalstaatlichkeit, die ausgrenzen will und wegen eigener Nichtauthentizität und Defizienz andere zu hassen beginnt. Dieser Hass vergiftet die Sphäre derer, die immer die Verständigung suchen – nicht aus einem Beziehungswunsch heraus, sondern um des Fortschritts willen, wie man miteinander umgehen sollte, damit Menschen sich entwickeln können, nicht erkranken, sich nicht oder anderen das Leben nehmen. Bewusst Spannung zu erzeugen durch Ignoranz schafft ein Klima des großen Unbehagens, das die Resilienz schwächt. Menschen hegen auch gegen andere Hass, weil sie die Wahrheit sagen, weil sie eventuell authentischer und klüger sind. Auch Neid auf eine sehr erfolgreiche und offene Kultur, die eine beeindruckende charismatische Wirkung hat wie die des Judentums, spielt eine große Rolle.  Und bedeutsamer  als jeder materielle Erfolg ist eben das Charisma, das wir auch von Jesus Christus kennen. Gegenüber diesen Menschen ist der Neid sicher und das gilt für die gesamte geistig nicht gut entwickelte  Menschheit.

Das Charisma einer selbstbewussten Religion wie das des Judentums ist heute gerade wegen des Holocausts ein ganz besonderes und zur Demut zwingendes, was archaische Regression bedeutet. Jeder Rückzug in die eigene Enklave birgt ein hohes Risiko zum Feindbilddenken und zur Projektion des eigenen Hasses auf andere. Hier liegt die Entstehung von Vorurteilen und Unterstellungen. Man glaubt, genug über den anderen zu wissen, ohne ihn zu kennen. Unterstellungen indirekt zu veröffentlichen ist nicht nur extreme Feigheit, sondern auch der Wille zur Nichtverständigung und damit Bezeugung der Interesselosigkeit an Lösungen. Menschen, die solches Verhalten zur Tugend machen wollen, kann man ruhig als Kriegstreiber bezeichnen, die vordergründig von Frieden reden, aber sich hintergründig in Kriegsstimmung befinden gegen einen diffusen Feind, der das eigene Selbstverständnis und die Selbstzufriedenheit  in Frage stellt. Es ist nur ein kleiner Schritt zur hoffnungslosen Selbstverherrlichung des Herrenmenschen, der sich über andere erhebt und sich gegen den Einfluss kultureller Vielfalt sträubt. Diese Haltung durchzieht alle Schichten der Gesellschaft bis heute.

Juden, Roma, Oppositionelle, Behinderte und mental Kranke, sogenannte „Arbeitsscheue“ (meistens Kunst- und Kulturschaffende) wurden im Dritten Reich Opfer der vernichtenden Endlösung. Ein zutiefst heidnischer (Nichtanerkennung göttlicher Wahrheit) und atavistischer Rückfall in vorzivilisatorische Zeiten. Auch das Christentum hat das nicht verhindern können, weil auch hier Machtstrukturen über Menschlichkeit gestellt wurden. Die Nichtbearbeitung des Schattens, also fehlende Introspektion führt zur negativen Projektion auf das Unbekannte, das nicht neugierig macht und als Bereicherung erlebt wird , sondern als Bedrohung empfunden wird. Letztlich verbirgt sich dahinter ein Leben, das nicht zur vollen Entfaltung fähig ist in seinem jeweiligen Sosein. In vielen Fällen wird es abgelehnt oder überhöht in seiner defizitären oder auch ungewollten Struktur. Normenunterwerfung und totale Normenablehnung haben dieselbe Wurzel, nämlich die Unfähigkeit, sich in einem heterogenen Umfeld zu bewähren und Konflikte durch Annäherung an die Wahrheit zu entschärfen. Es ist Aufgabe, ganz bei sich anzukommen, denn hier liegt die Voraussetzung für Toleranz und zumindest marginaler Verständigung für Wachstum und Entwicklung. Diese Phänomene werden besonders dort behindert, wo das eigene Selbst nicht voll entfaltet ist, d.h. nicht in die eigene Wahrheit gekommen ist.  Wir leben in Zeiten, in denen das im Rahmen von Gesetzlichkeit möglich ist.  Das hält eine Gesellschaft in Bewegung und in Resonanz. Können wir nicht in diese Schwingung geraten, die alles belebt und regeneriert, kommt es zur Verhärtung und zur Ausgrenzung. Wer Kritik nicht erträgt und zulässt, wird hinterhältig und bösartig. Und wer meint, es lohne sich nicht, sich mit Andersdenkenden auseinanderzusetzen, der muss sich auch als zutiefst undemokratischen Menschen kritisieren lassen, denn Demokratie lebt vom Diskurs, vom Ringen um die besten Lösungen für alle Menschen.

 

 

Die Synthese des Yoga

Sri Aurobindo thematisiert in seinem genialen, hoch spirituellen und tiefen Werk den Heilungsweg zur göttlichen Vollkommenheit in einer monotheistischen Verbindung von Christentum, Hinduismus und Buddhismus. Sein Denken ist auch gleichzeitig eine Überwindung jedes kleinlich fundamentalistischen Glaubens hin zu einer Öffnung zum universalen Wissen, das nichts relativiert, sondern eben hoch differenziert um der Wahrheit willen. Dieser Weg ist nur möglich, wenn der Mensch sich von seinen ichzentrierten Begierden befreit, d.h. in der Askese lebt für die Überwindung seines Egos und einer damit verbundenen Selbstsucht. Die Unterscheidung von Ich und Selbst ist dabei von höchster Bedeutung, denn die Entfaltung des Selbsts ist aus gesundheitlichen und aus Wissensgründen notwendig und steht im Gegensatz zur reinen Ichdurchsetzung, die dominieren will und sich nicht von einer universalen und göttlichen Macht führen lässt. Individualisierung hat also eine negative und eine äußerst positive Konnotation und kann nicht prinzipiell abgelehnt werden, wie dies im Christentum der Fall ist. Aurobindo schreibt: „Die supramentale Macht…  ersetzt das in sich gespaltene Ringen der individuellen Natur sowie die Leidenschaft und das Kämpfen des abgesonderten Ego durch das stille, tiefe, harmonische und frohe Gesetz der universalisierten Person in unserem Inneren durch die Normen unseres zentralen Wesens und Geistes, der ein Teil des höchsten Geistes ist.“ (S. 219)

Für diese Universalisierung ist aber eine Entfaltung des Selbsts notwendig, die aber keine isolierte Form der Entwicklung ist, weil im Austausch mit göttlicher Macht und Wissen stehend.  Aurobindo macht auch immer wieder aufmerksam auf die Überwindung beschränkten Denkens und Handelns, das sich aus Begehren und Bedürfnissen speist und nicht zur vollen Wahrheit gelangt, die auch immer entgrenzend und damit heilend ist, d.h. aus jeder Isolation herausführt. Leiden verursacht Verwirrungen und  Verdunkelungen aus Unwissenheit oder aus Vergessen um die göttliche Macht der Befreiung. Und die tiefe Verletzung des höchsten Wissens durch menschliche Beschränktheit ist eine Gefahr, der man nur entkommen kann, wenn man Menschen nicht zu stark idealisiert oder Erwartungen an Menschen knüpft im Hinblick auf ihre Befähigung zum Dialog, die spirituell nicht entwickelt sind. Die feste Verankerung im supramentalen Bewusstsein  ist ein lebenslanger Prozess, der immer wieder erneuert werden muss, eigentlich tägliche Aufgabe ist. Und hier geht es nicht um vordergründige Frömmigkeit oder eine erstarrte Ethik, sondern um die Einsicht in das von Gott ermöglichte Wissen auch über die Welt. Das höchste Bewusstsein ist deswegen auch fähig, Einsichten zu gewinnen durch aufmerksame Wahrnehmung und durch Intuition unter Absehung egoistischer Interessen. „Das supramentale Wirken …wird gewiss weder die Normen des individualisierten Egoisten noch die irgendeines organisierten Gruppen-Mentals befriedigen.“ (S. 220)

Es ist schwierig, als junger Mensch auf der Höhe dieses höchsten Bewusstseins zu bleiben, wenn andere in Begegnungen eingeschränkten Theorien anhängen und Vorschriften nicht hinterfragen.  Dazu sind wir immer aufgefordert gegen jeden Versuch zu generalisieren, was nicht identisch mit  universellem Wissen ist. Bedürfnisse und Begehrungen sind nur dann die Motive, wenn göttliche Erleuchtung nicht erfolgt ist. Die Höhe spirituellen Wissens schon früh zu erreichen kann zu Problemen führen, da Menschen in jungen Jahren selten befähigt sind, sich auf dieser Höhe des Wissens mit anderen auseinanderzusetzen und aus selbstsüchtigen Gründen auch diese Auseinandersetzung verweigern. Sie verletzen, beschränken und blockieren die spirituelle Entwicklung so schwer, dass der junge Spirituelle schweren Schaden nehmen kann.  Aurobindo geht auf dieses Problem nicht näher ein, weil er die göttliche Macht für unantastbar hält. Da aber auch das höchste Wissen sich noch festigen muss, ist der spirituell Suchende auch immer gefährdet, den Gewalten der Welt ausgesetzt zu sein, wozu auch das Nichthandeln gehört, d.h. die Unterlassung von Verständigung über den Weg zum höchsten Bewusstsein. Die Enttäuschung über ein begrenztes und beschränktes Bewusstsein in anderen kann schwere Schäden verursachen. Sich der Welt auszusetzen ist lebensgefährlich für einen anfänglichen Weg ins supramentale Wissen.

Aurobindo sagt auch deutlich, dass der Mensch nicht passiv erleuchtet wird, sondern dass dieser Weg Arbeit ist, aber auch spontan eintreten kann durch erworbene Erkenntnisse und dann seinesgleichen sucht. Findet er sie nicht, kann sein Weg zerbrechen. Der Weg zum höchsten Bewusstsein ist aber dennoch ein individueller, auch wenn er initiiert wird. Wir blicken im universalen Wissen hinter die Fassaden und sind hier auch der Wahrheit verpflichtet, d.h. wir müssen die Dinge benennen und uns darüber verständigen vor allem auf dem Weg in die Vollkommenheit des Daseins, das sich dadurch auszeichnet, dass es von allem Leiden befreit und zu einem freien Fluss der Energien fähig ist, was ein Teil des Effektes aus der Yogapraxis ist – des Hatha- wie des Rajayogas. Das supramentale Wissen bleibt skeptisch gegenüber speziellem Wissen und überschreitet die Grenze der Selbstdarstellung von Menschen hin zur Seelenschau, ist hier also nicht verfehlend und verkennend (meistens durch Begierden aller Art). Es geht also nicht um Selbstüberwindung, sondern um die Erhöhung des Selbsts zur vollen Entfaltung für die Öffnung zum supramentalen Wissen gegen allzu menschliche Unwissenheit und damit verbundener Missverständnisse.

Das rechte Verständnis ist ein Zuhören und Antworten; nur dann kann die ursprüngliche Wahrheit wieder ins Licht rücken und der Mensch erscheint als das, was er ist und was er war und ist von allem Leid befreit. Schuld ist dann ein Hindernis, wenn sie nicht eingesehen und korrigiert wird. Das Leiden durch schwere Verletzung des spirituellen Weges durch Unerleuchtete hört mit dem Wissen auf, dass nichtspirituelle Menschen nicht hinter ihre eigene Fassade schauen wollen. Die Wahrheit hat hier selten eine Chance und das Blendwerk der Eitelkeiten verstellt das tiefste Verstehen, das Begehrungen und Bedürfnisse längst als nicht tragende Phänomene begriffen hat., denn sie berauben das Dasein hinsichtlich seiner Fülle bis zum Verlust des Sinns. Eine Transformation des Inneren unter göttlicher Führung ist ein Heilungsweg, den jeder gehen kann ohne fremde Hilfe. Alles Störende und Verstörende muss im Sinne des Karma-Yogas bewältigt werden für den freien Fluss der Energien. Verletzungen somatisieren sich und können über eine konzentrierte Hatha-Yopapraxis aufgelöst werden. Die erworbene Macht über den Körper führt zum höchsten Glück der Freiheit und Gesundheit. Das Jnana-Yoga des Wissens durch Askese ist die Hauptaussage der Gita. Hier wird alles Weltliche überwunden und alles Verletzenden losgelassen in der Einsicht über die Beschränktheit des gewöhnlichen Daseins.

„Wenn nun ein Kollektiv oder eine Gruppe aus solchen Menschen gebildet werden könnte, die die supramentale Vollkommenheit erlangt haben, würde gewiss eine göttliche Schöpfung Gestalt annehmen. Eine neue Erde käme hernieder, die ein neuer Himmel sein würde. Eine Welt supramentalen Lichts könnte hier mitten in der zurückweichenden Finsternis dieser irdischen Unwissenheit erschaffen werden. “ (S. 221)

Sri Aurobindo: Die Synthese des Yoga. Bellnhausen 1972