Die Zukunft der Arbeit und soziale Gerechtigkeit

Wohlstand in den westlichen Ländern beruht auf Produktion meistens von Konsumgütern. Das erweist sich zunehmend als Dilemma, denn der Ressourcenverbrauch ist nicht unendlich ausweitbar. Was bedeutet das für die Gesellschaft und notwendige Reformen?

Richard David Precht schreibt in seinem intelligenten Buch Freiheit für alle: „Und Menschen, die sich unausgesetzt für die bei der Arbeit entgangene Lebensfreude materiell entlohnen  und immer wieder entlohnen müssen, sind, milliardenfach multipliziert, ein Sargnagel für die Menschheit.“ (S. 305) Das ist einerseits richtig, aber was würde es bedeuten, wenn Menschen verzichten und sich einschränken würden? Insgesamt würde die Wirtschaft schrumpfen, das Bruttoinlandsprodukt sinken und damit wären viele Dinge nicht mehr finanzierbar. Auch wenn sich Arbeit zunehmend auf Maschinen verlagert und eine Erwerbsgesellschaft zu einer „Sinngesellschaft“ – so Precht- mutiert, bleibt die Frage, was den Reichtum einer Gesellschaft ausmacht und wie Sozialleistungen finanziert werden können, wenn nur noch wenig produziert und konsumiert wird. Ein bedingungsloses Grundeinkommen, das wie viele ander auch Precht fordert, ist eine gute Idee, aber sie ist schlichtweg unmöglich, wenn die Produktivität nachlässt. Sicher, man könnte die Wertschöpfung umdefinieren. Aber das ist ein langsamer Prozess und eine radikale Umgestaltung der Gesellschaft.  Es ist auch ein Experiment. Immer intelligentere und nachhaltige Technologien und Produkte werden gebraucht für ein Überleben der Menschheit.

Arbeit ist mehr als elementare Bedürfnisbefriedigung

Die Arbeit der Zukunft soll sinngebend sein und die Entwicklung des Einzelnen befördern. Die Humboldtsche Idee auch der Persönlichkeitsentfaltung durch das  Ausbildungssystems wurde bis heute nicht realisiert. Wie soll dann eine Gesellschaft zu selbstbestimmter und kreativer Arbeit kommen, die dann ein Wirtschaftssystem trägt? Eine Reform des Schul- und Hochschulsystems ist laut Precht notwendig.  Es haben sich viele kluge Leute den Kopf zerbrochen über mehr Gerechtigkeit, die weitgehend befreit von entfremdender Arbeit, die in Zukunft einfach besser bezahlt werden muss aus Gründen des Ausgleichs. Heute sieht es aber so aus, dass Entfaltungsarbeit besser bezahlt wird. Potentialentfaltung ist wichtig für die Gesundheit. Das hat man erkannt. Aber was ist mit den Vielen, für die das nicht möglich ist und Arbeit eben die Grundbedürfnisse befriedigen muss. Letztlich leben wir längst in einer Zweiklassengesellschaft, in der sich einige selbstverwirklichen und andere für wenig Geld schuften müssen. Anerkennung finden heute Menschen, die sich entsprechend präsentieren, nicht aber Arbeiter, die die Dinge am Laufen halten. Haben wir nicht längst ein neues Sklaventum erschaffen, das wir zunehmend aus dem Ausland aufrecht erhalten? Im Englischen gibt es zwei Begriffe für Arbeit, die wichtig werden könnten: labour und work. Work ist der erweiterte Begriff von Arbeit und wird immer wichtiger und kann von jedem geleistet werden in welcher Situation er auch ist.

Gerechtere Lösungen halten eine Gesellschaft zusammen

Der Wert der Arbeit wurde und wird hochgehalten. Wer Arbeit hat, der ist ein Teil der Gesellschaft, der Rest wird geächtet und ausgegrenzt und es werden immer mehr, die aber doch Sinnvolles tun könnten und die Gesellschaft auch bereichern, wenn sie denn entsprechend entstigmatisiert wären. Wenn aber Erwerbsarbeit über Sinnarbeit gestellt wird, bleibt eine Kluft. Kreatives Potential schlummert in jedem – egal. ob er bezahlte Arbeit hat oder an etwas arbeitet, was der Gesellschaft zugute kommen kann. Es gilt also, Alimentierte zu motivieren gegen Suff, Raucherei und TV- Konsum. Sie könnten schon einmal damit beginnen, das zukünftige Bürgergeld als Chance zu begreifen, ihr Potential zu entfalten und sich nicht der Ausgrenzungstendenz zu unterwerfen als Bürger dritter Klasse. Es gibt keinen Grund zu warten auf politische Reformen, jeder kann sein Leben in die Hand nehmen und aktiv werden in seinem Sinne und nach seinen Vorstellungen. Auch das ist Freiheit. Sollten immer mehr Maschinen und künstliche Intelligenz Arbeiten ersetzen, bleibt immer noch die Eigeninitiative und die Gestaltungsfreiheit, die zur ganzheitlichen Gesundheit dazugehört. Die Solidargemeinschaft ist nur dann eine, wenn Menschen nicht diskriminiert werden wegen fehlender Erwerbsarbeit. Arbeit erhält also einen neuen Stellenwert in Bezug auf Sinnstiftung und Gemeinschaftsnutzen.

Richard David Precht: Freiheit für alle. Das Ende der Arbeit wie wir sie kannten. München 1.Auflage 2022