Hochsensibilität ist keine Krankheit

Hochsensibilität ist Chance und Gefährdung zugleich. Luca Rohleder versucht dem Phänomen ohne Pathologisierung auf den Grund zu gehen. Hochsensible haben oft Schwierigkeiten im Arbeitsleben, was an der Intensität ihrer Informationsverarbeitung liegt, die Normalsensible gar nicht nachvollziehen können. Erstere leben in einer Welt des höheren Wissens, das aber oft durch Störungen aller Art blockiert sein kann.

„Es ist ein typisches Anzeichen für Hochsensibilität, permanent auf der Suche zu sein“ schreibt Luca Rohleder, der von drei verschiedenen Ichs ausgeht: dem Neugeborenen-Ich, dem Erwachsenen-Ich und dem Höheren-Ich in Anlehnung, aber auch Vermeidung der freudschen Terminologie. Das Neugeborenen-Ich bleibt beim Hochsensiblen sehr verletzlich und fühlt sich bei Ablehnung, Ignoranz, Herabsetzung und schwerer Beleidigung lebensbedrohlich gefährdet. Die damit verbundene Angst ist immens und kann auch den Betroffenen sehr schädigen, wenn er sich im Laufe des Lebens nicht etwas desensibilisiert, um sein Erwachsenen-Ich besser durchzuhalten gegen Angriffe und schlechte Beeinflussungen aller Art. Er muss sich wohl und sicher fühlen, dann wird sein Höheres-Ich aktiv und er hat Zugang zu einem Wissen, das den meisten Menschen verschlossen bleibt. Es ist auch die Sphäre des Intellekts, des Geistes, der Spiritualität, die aber nicht selten überreizt wird und auch hier zu Krankheiten führen kann, wenn derjenige sich nicht immer auch erdet und das loslässt, was ihn belastet.  Dies gelingt ihm eigentlich gut über die Erreichung des Höheren-Ichs, das auch alle untergeordneten Instanzen transformiert und zu einer weisen und reifen Persönlichkeit führen kann, die viele außergewöhnliche Fähigkeiten besitzt und einsetzt. Hierbei kommt es eben auf die überdurchschnittliche Sensibilität an, durch die sie auch Einblicke in andere Menschen und deren Verfassung erhalten, was nicht immer erfreulich ist: „Sie sind aufgrund ihrer Intuition förmlich gezwungen, auch die dreckige Wäsche ihrer Mitmenschen zu waschen“ so Rohleder.

Notwendige Bedingungen

Der Hochsensible steht nicht selten unter Beschuss wegen seiner Beobachtungsgabe und der Fähigkeit, Dingen auf den Grund zu gehen. Selbstachtung und die Entwicklung eines stabilen Selbstbewusstseins sind deswegen notwendige Bedingungen für den Erhalt der Gesundheit und für die Entwicklung eines messerscharfen Verstandes, der Situationen analysiert. Sie müssen aber mit ihrem Gehirn fürsorglich umgehen und sich immer wieder erden durch Bewegung und Loslassen. Rohleder bescheinigt Hochsensiblen einen Zugang zur Unsichtbaren Welt, die höheres Wissen beinhaltet. Harmonieverständnis, Gewissenhaftigkeit und Gerechtigkeit treiben sie an, aber auch Freiheit, Eigenverantwortlichkeit und ein Leistungsdenken, das aber einer gewissen Führungshaltung entspricht. „Erleben Sie als HSP (hochsensible Person) demnach Unfreundlichkeit, Grobheiten oder Unmenschlichkeit, wird bei Ihnen eine körperliche Bedrohungskonstellation ausgelöst, die ihresgleichen sucht“.  Das Potenzial aus der unsichtbaren Welt wird nur dann wirksam, wenn sich der Hochsensible sicher, verstanden  und wohl fühlt. Hier erhält er Informationen von anderen, die nonverbal vermittelt werden. Blitzschnell kann der Hochsensible diese Daten einordnen. Dafür muss er selbst auch sehr gut geerdet sein, damit diese Daten ihn nicht beunruhigen oder aufregen. Jedenfalls lebt er gern in seiner geistigen Welt der Informationsverarbeitung.

Einsatz für die berufliche Tätigkeit

Luca Rohleder spricht von einer Berufung für Hochsensible, die im normalen Arbeitsleben nicht so gut zurecht kommen, oft auch komplizierte Lebensläufe haben. Damit das Leben für Hochsensible gelingt, sollten sie sich um Dinge kümmern, die das Leben verschönern und bereichern. Es ist der Entwicklungs- und persönliche Wachstumsbereich, der sie interessiert und für den sie sich auch engagieren in Bezug auf andere. „Die Kreativität von HSP umfasst nicht nur die Künste, sondern die volle Bandbreite aller privaten und beruflichen Situationen“. Sie möchten erfinden, verbessern und optimieren, aber das gelingt nur bei einer gewissen Sorgen- und Angstfreiheit, d.h. das Neugeborenen-Ich muss beruhigt sein. Durch Emotionen erdet sich der Hochsensible im Kontakt mit der sichtbaren Welt. Um sich selbst zu schützen, muss er heilige Zonen des störungsfreien Rückzugs schaffen. Von einer beruflichen Selbstständigkeit rät Rohleder zunächst ab, weil die Verletzlichkeit zu hoch ist und die Unsicherheit den Kanal nach oben blockieren könnte.  Sie machen sich mehr Gedanken auch im Sinne von Zukunftsängsten als der normalsensible Mensch, was zu instabilen Situationen führen kann. Das Beste wäre nach Rohleder, der Hochsensible würde etwas erfinden, das ihrer Gefühlstiefe entspricht.  Es ist deswegen auch zu raten, Gedanken zu Papier zu bringen als eine Art Meditation, damit sie aus dem Kopf verschwinden und sie sich aus belastenden Verstrickungen befreien können. Der Hochsensible braucht  interessante und kreative Kontakte, die ihn in Form von neuen Projekten und Entwicklungen herausfordern auch für die Lebensfreude.  Die Persönlichkeitsentwicklung hängt auch von den Ideen ab und den Kontakten, die zu ihm passen müssen, damit er nicht belastet wird und sein Potenzial im Kontext des höheren Wissens versiegt. Die Erlösung oft nach einem langem konfliktreichen Leben erfolgt dann meistens über den unerschütterlichen Glauben an sich selbst im Kontakt mit einer spirituellen Sphäre, die das Urvertrauen wieder aktiviert gegen „energetische Schmarotzer“. Das sehr hilfreiche Buch von Luca Rohleder ist leicht verständlich und ansprechend geschrieben. Es ist ein hoffnungsvolles Buch von einem hochsensiblen Autor für die Bewältigung eines komplexen Phänomens.

Luca Rohleder: Die Berufung für Hochsensible. Die Gratwanderung zwischen Genialität und Zusammenbruch. Leipzig Dielus Edition. 2017 4. Auflage

 

 

Das höhere Bewusstsein

Diese Welt ist voller Konflikte und Ambiguitäten. Wir sind Angriffen und Existenzstress ausgesetzt, der extrem schädlich ist, was mittlerweile wissenschaftlich bewiesen ist. Niemand darf sich solche Unterminierungen der eigenen Existenz gefallen lassen. Zunächst aber gilt es, die eigene Gesundheit zu schützen und in die Sphäre des höheren Bewusstseins einzutreten.

Wer es gelernt hat, sich selbst zu retten in einen Bereich der spirituellen Unverletzbarkeit, der hat die Quelle der Selbstheilung erreicht. Dafür müssen wir ganz nach oben ins höhere Bewusstsein. Von dort aus hat man die Gelassenheit, den Über- und Durchblick für eine bessere Orientierung. Diesen Kanal darf man sich durch nichts und niemanden blockieren lassen. Die meisten Menschen erreichen diese Sphäre nicht, weil sie nicht gesucht wird und nichts für ihre Instanz getan wird. Sie fällt selten vom Himmel, wir müssen an ihr arbeiten. Diese Sphäre zieht eine andere neue Ordnung nach sich, die mehr Wahrhaftigkeit und Sinn beinhaltet. Wir bekommen hier das Adlerauge, das von oben schaut und erkennt, was in den untergeordneten Sphären stattfindet. Diese Schau darf ruhig verteidigt werden gegen Angriffe aller Art, denn sie lässt tiefer blicken und ermöglicht so einen Zugang zum höheren Wissen.

Das Ding an sich

Kant meinte, wir wären auf unsere Anschauungsformen und Begriffe reduziert und könnten das Ding an sich nicht erkennen, was unser Erkenntnisvermögen determiniert. Aber es gibt einen Bereich der Erkenntnis, der sich nicht über die Wahrnehmung erhebt, sondern sie sensibilisiert und verfeinert. Es ist ein Bereich sehr subtilen Information, für die wir empfänglich werden und die wir uns dann bewusst machen müssen. Diese Annäherung an die Wahrheit beschreibt auch James H. Austin in seinem Buch Zen-Brain-Reflections. An diesen Punkt der Erkenntnis kommt man nicht unbedingt erst nach langer Meditationspraxis, sondern auch über den Weg der inneren Befreiung von Blockaden mit Hilfe von Hatha- und Raya Yoga. Ich stoppe hier den schädigenden und blockierenden Gedankengang und erhalte die Offenbarung von oben. Diese Sphäre führt in eine Welt der Ruhe und der Besonnenheit nach Aufregungen aller Art, die den Kanal nach oben schwer beeinträchtigen und in die Stresserkrankung führen. Auf diese Sphäre kann sich jeder verlassen, der sie begreift und als Existenzial annimmt. Alles Kleinliche und Einschränkende hat in ihr keinen Platz. Sie ist der Ort der inneren Freiheit und des Friedens. Sie ist hoch spirituell und verweist auf ein höheres Dasein, das seine umfassende Liebe bezeugt im Augenblick der Not, die uns oft andere Menschen bescheren. Man findet diese Sphäre auch nicht unbedingt in einer Kirche, sondern überall, wo man geschützt ist vor den Ein- und Übergriffen einer allzu profanen Welt, in die wir nicht allzu absteigen sollten, um nicht den Halt zu verlieren.

Dünne Luft

Der vertikale Weg nach oben ist der sichere, denn Menschen versagen zu oft und versagen auch immer wieder, haben auch ein Interesse an Unterminierung des höheren Bewusstseins, weil sie sich hier nur durchschaut fühlen. Doch kein Amt und keine öffentliche Würde schützt vor diesen Einblicken aus einer Warte der Losgelöstheit von allzumenschlichen Bedingtheiten. Wir befinden uns hier in einem Reich der Klarheit, die eigentlich mehr Lebensqualität bringen sollte durch Unterscheidung und Differenzierung, so dass wir uns anders begegnen können. Der entsprechende Dialog kann nicht die Ungerechtigkeiten und Unerträglichkeiten beseitigen, aber er kann sich distanzieren auch von sich selbst und wird hier unverwundbar und offen für die heilenden Botschaften aus der Welt des universalen Wissens, durch das wir im Hier und Jetzt die Dinge in Frage stellen und bestenfalls auch verändern können, um nicht unpolitisch zu werden. Wir klagen an und lassen uns von einer Kraft führen, die jedem zur Verfügung steht und in die uns Theologen hineinführen und begleiten sollten, denn es ist nichts anderes als der heilige Geist, der uns umgibt wie eine Schutzmauer vor dem Unrat und dem Unvermögen der Welt, die uns sonst verzweifeln lässt. Dieses innere Bergsteigen muss sich bewusst werden, dass die Luft dort oben dünner wird.

James. H. Austin: Zen-Brain Reflections. London MIT Press. 2006

 

 

Die Kunst des klaren Denkens

Schon zu Beginn des Jahres findet man wieder  in etlichen Artikeln eine Reihe von merkwürdigen Behauptungen gegen den gesunden Menschenverstand, die darauf schließen lassen, dass der Schreiber nicht nachgedacht hat. Bringen wir ein wenig Licht in das Dunkel.

So wurde behauptet, Tagträumerei hätte etwas mit hoher Intelligenz zu tun… Hohe Intelligenz hingegen ist Wachheit und Bewusstheit  und richtet sich neugierig auf die Welt, die sie erfassen und begreifen will. Wahrheit sucht man in inneren Bildern vergeblich und entsprechend realitätsfern sind auch ihre Vertreter und Anwender. Dieser Eskapismus hat schwerwiegende Folgen für das Zusammenleben, denn an Subjektivität ist diese Vorstellungswelt nicht zu überbieten. Auch geht von ihr keine wahrhaftige Beruhigung aus, sondern verleitet nur dazu, die Welt zu verfremden, anstatt sie zu durchdringen. Sie kann wegen der hohen Diskrepanz von Wirklichkeit und Vorstellung in die Depression führen wegen hoher Frustration. Diese unsere Welt ist nicht perfekt und sie ist extrem ungerecht, aber wir haben den Auftrag, sie zu gestalten und zu verbessern – selbst das eigene Leben Tag für Tag und Schritt für Schritt. Der Rückzug in die innere Welt ist eine Verführung, die die Wahrnehmung bzw. die Sinne beeinträchtigt und der Wahrheit gewissermaßen im Wege steht. Auch die Selbstreflektion wird so behindert, denn sie setzt sich nicht mehr objektiv mit den eigenen Gegebenheiten auseinander. Intelligenz ist die reale Verarbeitung externer Informationen auch für die eigene Entwicklung, die nie zum Stillstand kommen darf.

Die sogenannte emotionale Intelligenz

Ein weiterer Punkt wäre die emotionale Intelligenz, die ohne einen hohen IQ nicht zu haben ist. Menschen, mit denen man eine wichtige Angelegenheit zu besprechen hat und die jede Antwort verweigern, weil man mit ihnen nicht auf der gleichen Wellenlänge ist, verwechseln den EQ mit der Erstarrung, das Kritisierende nicht mehr zuzulassen, weil man sich in seiner Welt eingerichtet hat und nun nicht mehr wirklich ins Denken kommen will. Philosophie und Denken sind auch nicht identisch. Karl Marx schrieb: „Philosophie und das Studium der wirklichen Welt verhalten sich wie Onanie zur Geschlechtsliebe“. Das mag viele erschüttern, ist aber auch ein Teil der Realität,  mit der man sich auseinandersetzen muss. Wahrheit finden wir nicht unbedingt in irgendeiner Disziplin, sondern nur im interdisziplinären Diskurs, in der genauen Beobachtung und Wahrnehmung und in unserer geübten (!) Intuition. Es ist auch nicht die emotionale Intelligenz, die uns neue Bekanntschaften machen lässt, sondern es sind die entsprechenden Gelegenheiten. Die soziale Dimension der Teilhabemöglichkeit am gesellschaftlichen Leben entscheidet darüber, ob ich Menschen finde, die gerne in den Diskurs treten, weil sie offen und wach mit den Problemen der Welt umgehen.  Ausschlussverfahren dürfen nur dann vorgenommen werden, wenn Menschen unverbesserlich an ihren störenden Verhaltensweisen festhalten, die die Realität vorsätzlich verzerren und deshalb nicht erträglich sind. Das sind die sich selbst verherrlichenden Solipsisten und Narzissten, die das Licht der Wahrheit scheuen und damit auch den Diskurs, der ohne Herausforderung eben nicht zu haben ist. Aber viele Menschen geben im Grunde auf und konfrontieren andere mit einer Unbeweglichkeit, die für Beteiligte in die Ohnmacht führen kann.

Gegen die Depression

Wie wichtig es ist, gedanklich und kommunikativ in Bewegung zu bleiben, zeigt uns auch der Selbstmord von Ari Behn, dem sympathischen Mann von Märtha Louise von Norwegen. Hinter schweren Depressionen stecken oft gedankliche Sackgassen, in die auch Menschen andere hineintreiben und schwere Krankheiten dadurch verursachen können. Die deregulierte Gehirnphysiologie ist nur ein Symptom für ein viel tiefer liegendes Problem. Nein, es kostet nichts, sich zu öffnen für die Sorgen eines anderen, wenn sie vor allem auch von allgemeinem Interesse sind. Das Wesen einer Erkrankung ist ja nicht selten das Leiden an der Welt, wie sie ist. Durch Tagträumerei können wir sie nicht ändern, aber durch hohe gedankliche Beweglichkeit, die immer auch eine körperliche Dimension hat gegen die vielen sichtbaren Blockaden und Gestautheiten von Menschen. Der Geist formt und gestaltet auch den Körper für den freien Fluss der Energien (gut erreichbar durch Yoga), die eine sympathische und empathische Offenheit und Neugier ermöglichen gegen den Sog der Vorurteile und negativer Erwartungen. Viele Menschen haben sich viel vorgenommen für das neue Jahr. Wir sind Gottes Geschöpfe, weil wir beherzt die Probleme angehen, die uns weiterbringen können. Das einzusehen und zu unterscheiden vermag die emotionale Intelligenz. Die Veranlagung eines anderen Menschen kann ich nicht ändern, aber ich kann wach bleiben für das Anliegen eines Menschen und ihn auch menschenwürdig behandeln. Wo ich überfordert bin, äußere ich das entsprechend. So kommen wir der Wahrheit eben doch Tag für Tag etwas näher und trennen uns auch manchmal von Unerträglichkeiten. Wir müssen Grenzen ziehen gegen schwere Grenzverletzungen, aber wir bleiben trotzdem ganz allgemein offen. Das ist die ganze Kunst. Und wir klären auf und korrigieren, ja streiten, wo dies nötig ist. Dieser Prozess ist nie abgeschlossen. Verpassen wir also keine Bretter vor den Kopf, sondern ebnen den Weg zu mehr Gerechtigkeit. Wahnsinn ist die Verunmöglichung von Offenheit in vertikaler und horizontaler Richtung.

Ein waches, bewusstes und kommunikatives neues Jahr!