Fähigkeiten für die Zukunft

Die Bildungsforschung sowie die Medienwissenschaften konstatieren angesichts der Digitalisierung die 4 Ks für das zukünftige Denken, Lernen und Arbeiten. Kommunikation, Kreativität, Kollaboration und Kritik. Die Voraussetzung für alle diese Skills ist aber eine zunehmende bewusste Wahrnehmung, eine bewusstere Selbstreflexion, um die Dinge in der Welt besser beurteilen zu können. Ohne eine zunehmende Bewusstseinsarbeit werden die vier Kriterien ziemlich blutleer bleiben. Auch die Kommunikation muss insgesamt bewusster und gewaltfreier werden. Das gilt auch für den gesamten Bereich der Sprache, die sich ausdifferenzieren muss, um das Neue auch angemessen sagen zu können. Heidegger hat sich dieses Privileg in Sein und Zeit auch herausgenommen, um Dinge benennen zu können, die eine erweiterte Reflexion ermöglichen. Wir müssen also lernen, genauer zu sprechen und zu sagen, was wir meinen, damit wir nicht ständig missverstanden werden und so Probleme auftauchen, die sogar zu Erkrankungen führen können. Sicher, man muss auch frei von der Leber weg sprechen können, aber man muss sich auch der Begrenztheit dieses Sprechens bewusst sein und danach nach besseren Lösungen suchen, sich in den Dialog vertiefen und so die Bedeutungen ausloten. Das ist ein ständiger Entwicklungsprozess, den man nicht künstlich bremsen oder aussetzen darf, da auch hier nur negative Folgen zu erwarten sind.

In einer gelungenen Kommunikation geht es darum auszusprechen, was gerade in einem vorgeht, sich die unterschiedlichen Emotionen und Gedanken in einer Art Supervision bewusst zu machen, so dass der andere besser versteht, was er anrichtet (ich ärgere mich, weil …).  Marshall B. Rosenberg hat in seinem Buch Gewaltfreie Kommunikation darauf hingewiesen, dass die des Sprechens  zugrunde liegenden Haltungen deutlich gemacht werden müssen, damit eine Kommunikation nicht schlimmere Zustände verursacht oder die Kommunikation unterbrochen wird. Jeder kann darüber Äußerungen treffen, was seine eigenen Gefühle angeht. Diese Form der Selbstäußerung und Selbstreflexion befreit von Ängsten und Vorurteilen auch anderen gegenüber, weil die eigene Lage zunächst geklärt ist. Es gibt keine Situation, die man nicht in eine Sprache übersetzen könnte. Das Nichtaussprechenkönnen kann schwere Störungen verursachen und Depressionen manifestieren. Wer gelernt hat, in Schreibmeditationen (kein Tagebuch, das nur Äußerlichkeiten beschreibt, sondern ein Reflexionsbuch, das Gefühle und Gedanken formuliert) sich selbst zu erkennen, der kommt auch in der Kommunikation nicht in Bedrängnisse, Er vertraut sich und damit auch seinem Gegenüber, eine Lösung zu finden, die menschlich und rational ist. Den homo oeconomicus lassen wir lieber außen vor, denn die Vernunft allein findet nicht die beste Lösung für ein Problem. Der Mensch darf nicht in Konflikt geraten mit seinen eigenen Gefühlen. Er tut sich Gewalt an und wir entsprechend rücksichtslos gegen andere.

Ohne Zusammenarbeit manchmal eben auch mit Andersdenkenden (nur Gleichgesinnte führen in die Echokammer und damit zu einer gewissen Stagnation) hat die Evolutionskraft für eigene Ideen, die sich an der Kritik messen lassen müssen. Es geht auch hier um Informationsverarbeitung, die in geregelte Bahne gelenkt werden muss über Verständigung und Kooperation. Wir müssen also in der Lage sein, Andersdenkende miteinzubeziehen und entsprechend zu benennen, was vor allem auch im dialektischen Denken ein Prinzip ist. Um zu besseren Lösungen zu kommen, muss also kollaboriert werden, denn die Welt ist komplex und wird immer komplexer, so dass einfache Lösungen immer unwahrscheinlicher und vielleicht auch gefährlicher werden. Komplexität verlangt Fähigkeiten, die über den eigenen Horizont hinausragen und ein Einlassen auf den anderen Standpunkt möglich machen. Nur so kommen wir zu einer neuen Qualität des Zusammenlebens und -arbeitens. Diese Diskursfähigkeit schafft die Freiheit im Ausdruck, die uns von Konflikten erlöst und in eine gesündere Zukunft führt. Privates und Berufliches unterliegen denselben Anforderungen und können in ein sehr bewegtes und interessantes Leben führen, wenn Menschen sich auf das Abenteuer Kommunikation einlassen und sich von alten Mustern lösen für mehr Kreativität, die nicht selten einfach glücklich macht. Wenn man sich hier auch noch verständigen kann, ist doch Fortschritt möglich. und zwar ein Fortschritt, der auf vielen Ebenen notwendig ist.

Siehe auch: Marshall B. Rosenberg: Gewaltfreie Kommunikation. Paderborn 2. Aufl. 2002

Rechtsradikalismus

Wieder einmal hat ein Radikalisierter einen Anschlag auf Juden in Halle verübt. Wir sind fassungslos, aber eben auch aufgefordert nachzudenken, wie diesem gewalttätigen Extremismus begegnet werden muss. Es wird immer wieder deutlich, dass für die Menschen vor allem im Osten Deutschlands, aber auch im Westen zu wenig getan wird. Dabei geht es nicht um eine Dauerförderung, sondern um konstruktive und friedvolle Selbstermächtigungsstrategien, die durch das Sozialsystem teilweise unterminiert werden. Dass Menschen keine Hoffnung haben aufgrund eines zu geringen Einkommens, aufgrund von Zwängen in Bezug auf berufliche Integration, die dem Einzelnen und seinen Interessen und Fähigkeiten nicht gerecht wird sowie aufgrund fehlender Institutionen, die nicht bevormunden, sondern Angebote unterbreiten, die dem Einzelnen entsprechende Integration wieder möglich machen. Es ist und bleibt die Aufgabe, für den Einzelnen eine optimale Lösung zu finden. Das müsste auch ein wohlhabender Staat leisten. Angst, Zwänge und Dequalifizierung sind Gemeinschaft gefährdende Parameter. Eine neue Dynamisierung wäre ein Anfang gegen verhärtete Fronten.

Die Selbstgefälligkeit der Politik, die  nach Terroranschlägen wieder so tut, als hätte sie doch das Menschenmögliche getan, um Menschen zu motivieren und zu integrieren, wirkt angesichts auch der Schließung der Universitäten für die Öffentlichkeit zynisch.  Das elitäre Selektionsgehabe von Universitäten, die immer stärker eindimensionalisieren, ist Symbol für einen gesellschaftlichen Prozess der Desintegration breiter Bevölkerungsmassen, die sich selbst aufgegeben haben oder eben Feindbilder suchen, um ihrer Frustration Ausdruck zu verleihen. Eine Politik, die viel zu wenig auf die Komplexität einer Gesellschaft und einer Wirklichkeit reagiert, muss sich also selbst befragen, wo sie dauerhaft versagt. Menschen ohne Hoffnung greifen andere Menschengruppen ideologisch und faktisch an. Der Hass ist die Entladung von Resignation in Verbindung mit Aggression gegen einen Staat, der Reformen der Desintegration eingeleitet hat und nun auch zur Rechenschaft gezogen werden muss gegen eine nationalistischen Gruppenidentifikation mit etwas, das es gar nicht gibt.

Es ist  nicht richtig zu behaupten, dass seien eben schlechte Menschen, die nichts können und eben destruktiv sind. Das ist nicht die ganze Wahrheit, denn ein Mensch, der seine Aufgabe gefunden hat, sich gebraucht fühlt und genügend Einkommen hat für die Teilhabe an Gesellschaft, Kultur und Bildung, der wird auch nicht gewalttätig gegen andere. Nicht jeder kann aus dem Nichts etwas machen, deswegen muss ein Klima der Motivation und der Bereitstellung eines höheren Grundeinkommens gewährleistet sein. Wenn der Rechtsradikalismus verschwinden soll, muss der Staat Geld ausgeben für Menschen, die ihren Halt längst verloren haben und denen es egal ist, was man von ihnen denkt. Sie empfinden sich mehr oder weniger als Versager, was auch am politischen Narrativ liegt. Auch die zunehmende Normierung von Lebensläufen trägt nichts zur Lösung bei. Brüche im Leben dürfen keinesfalls diskriminiert werden, sondern können auch als Chance begriffen werden.

Es soll keine Entschuldigung sein, aber die Wurzeln des Rechtsradikalismus liegen in einem Staat, der sich als gut und gerecht geriert, es aber faktisch schon lange nicht mehr ist und der notwendige Reformen angesichts globaler Probleme immer wieder aufschiebt bzw. unterlässt.  Es ist einfach zu sagen, dass es eben solche faschistischen Gruppierungen gibt, die sich nicht belehren lassen. Bieten wir Ihnen doch einfach mal ein Programm an, das sie nicht abschlagen können.  Da es eine beträchtliche Anzahl Radikalisierter gibt, darf ihnen kein Forum der Aufmerksamkeit gegeben werden, sondern Angebote gegen den Hass, der nicht selten Ausdruck eines tief sitzenden Minderwertigkeitsgefühls der Ausgrenzung ist.

Auch die Gruppenidentifizierung verleiht diesen Menschen alternativ ein Gefühl der Macht, weil sie die Selbstermächtigung längst verloren haben. Sie arbeiten nicht mehr konstruktiv, weil sie ihr Bemühen als aussichtslos betrachten. Dagegen kann ein Staat besonders im Osten von Deutschland, aber auch im Westen viel tun. Weltoffenheit bedeutet eben auch eine innerstaatliche Offenheit der Systeme für mehr (freie) Bildung und Teilhabe, die in vielen Hinsichten institutionell nicht mehr gegeben ist. Es ist ein sehr ernstes Problem, das nicht gelöst wird, indem man lauthals (CDU) gegen durchaus gefährliche Menschen kämpft (und sie zu Verfolgten macht), sondern die Ursachen dieser Entgleisung und Kriminalität angeht. Das wäre eine sehr wichtige Aufgabe. Rechts- und Linksradikalismus sind ein Ausdruck dafür, dass die Politik versagt hat.

siehe auch unten: Theodor Adorno: Aspekte des neuen Rechtsradikalismus (Vortrag)

Außenansichten

Man kann Menschen weder als klug noch als weise betrachten, die sich nicht die Mühe machen, das Sein eines Menschen zu erkunden, das sich nicht über Erwerbsarbeit, Vermögen oder andere Äußerlichkeiten definiert. Diese Gesellschaft hat es verlernt, sich mit dem Wesen der Dinge zu befassen. Dazu bedarf es der Übung und des Interesses. Wenn mir die Außenansicht reicht, dann habe ich mich auch für ein  oberflächliches und entfremdetes Leben entschieden und bekomme auch entsprechende Antworten. Erich Fromm hat in seinem  immer noch hoch aktuellen Werk auch angesichts des Klimawandels und der extrem wachsenden Weltbevölkerung auf den Unterschied von Haben oder Sein aufmerksam gemacht und auf die verheerenden Folgen für unser psychisches Dasein und letztlich eben auch für das ökologische, wenn wir dem Haben weiter aufsitzen. Wir hängen eben mit der Natur zusammen und müssen ihr Sein für unser Sein verstehen und nachvollziehen. Die Pflanze wächst von innen heraus organisch und entwickelt so ihr äußeres Dasein. Der Mensch versucht es umgekehrt und richtet sich so gegen die Gesetze der Natur. Das innere Sein will er über das äußere Haben definieren. Aber diese Version ist nicht tragfähig, aus ihr kann sich nichts Gesundes entwickeln, da es sich auch allzu oft gegen andere richtet.

Die seelischen Kosten für eine außenansichtige  Gesellschaft sind hoch. Doch ein Umdenken findet nur langsam statt, da die Nachkriegszeit im Haben ihre Heilung gesucht und die Entwicklung eines stabilen und verlässlichen Inneren vernachlässigt hat. Sicher, Menschen möchten in sicheren Verhältnissen leben, aber auch die können angetastet werden. Die Zukunft der Digitalisierung wird das noch mehr zur Geltung bringen. Darauf ist die Menschheit schlecht vorbereitet. Es wird in Zukunft darauf ankommen, sich wieder mehr um ein Sein zu bemühen und Menschen unter diesem Aspekt zu erschauen. Nicht, was jemand darstellt, ist von Bedeutung, sondern was er seinem Wesen nach ist. Sicher, das muss sich nicht widersprechen, aber Erwerbsarbeit wird in Zukunft nicht die Dimension sein, über die sich Menschen identifizieren. Es kommt also auf ihre Verwirklichung an und darauf, ob diese gelingt, ohne die Natur und andere zu schädigen.

Eine Bereicherung ist die Verwirklichung, wenn andere sich gut fühlen und davon profitieren, dass Menschen sich entfalten in ihren Interessen, Fähigkeiten und Begabungen. Richard David Precht spricht ja schon von einem Ende der für uns selbstverständlichen Erwerbsarbeit. Was aber kommt dann? Gähnende Langeweile, Alkoholsucht oder andere bewusstseins-einschränkenden Tätigkeiten, die von der Sinnleere ablenken sollen? „Erwerben, Besitzen und Gewinnmachen sind die geheiligten und unveräußerlichen Rechte des Individuums in der Industriegesellschaft“, schreibt Erich Fromm, anstatt den neuen Menschen zu ermöglichen, der durch Charakter, Religion und Verwirklichung anderen Menschen und der Natur nicht mehr so viel antun muss, geschweige denn sie ausbeutet und schädigt. So können wir die Ursache unseres Leidens erkennen und überwinden und uns gegenseitig wieder in unserem Sosein erfassen als das, was wir immer schon sind: Menschen, die ein erfülltes und glückliches Leben wollen und verstanden werden möchten. Wer vorsätzlich Leid verursacht, hat sein eigenes Leid nicht bewältigt und versucht immer noch die Maximen des Habens zu erfüllen. Außenansichten können die Innenansicht völlig verschleiern, wenn man nicht gelernt hat, sich dem Sein eines Menschen und damit seiner Würde zu nähern. Die wird in Zukunft anders definiert werden müssen als über die doch zu einem Teil fragwürdig gewordene verallgemeinerte Erwerbsarbeit und ihre zum Teil verheerenden Folgen. Soziale Arbeit wird es allerdings immer geben. Precht stellt fest: „Beide Male glaubt man, ein halb totes Pferd weiter durchs Ziel reiten zu können: das über Erwerbsarbeit finanzierte Sozialsystem hier, das auf extrinsische Belohnung ausgerichtete Bildungssystem dort.“ Je unglücklicher und unentfalteter ein Mensch ist, desto mehr wird er Ressourcen verbrauchen als Entschädigung.

Aber man sollte nicht vergessen, dass ein Beruf, den man liebt und in dem man sich entfalten kann, dafür auch noch Geld bekommt, großes Glück ist. Entfaltung schützt auch vor krank machendem Leid. Daher sollte man sie allen Menschen gönnen und hier keine Exklusivrechte geltend machen. Nichtentfaltungarbeit muss gut bezahlt werden.

Erich Fromm: Haben oder Sein. Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft. Stuttgart 131.-140. Auflage 1979

Richard David Precht: Jäger, Hirten, Kritiker. Eine Utopie für die digitale Gesellschaft. München 1.Auflage 2018