Der freie Wille

Die Frage nach der Willensfreiheit ist ein Dauerproblem im Diskurs. Er ist schwer zu beweisen und bleibt doch ein notwendiges Existenzial für unsere Gesundheit.

In vielen Diskursen geht es darum, den freien Willen zu bestreiten. Jede sogenannte Freiheit sei bedingt, auch wenn es sich anders anfühlt. Tatsache ist, dass wir vor allem durch negative Erfahrungen determiniert sind, so dass der freie Wille kaum möglich erscheint. Ich, das Selbst, wäre lediglich ein Produkt der Erlebnisse. Was ich auch tue, es scheint bedingt zu sein. Wenn etwas bedingt ist, habe ich nicht die Verantwortung für das, was ich will. Diese pessimistische Sicht erläutert auch Peter Bieri in Das Handwerk der Freiheit. Unterliege ich einer Ursache- Wirkungskette handle ich nicht aus Freiheit, sondern aus einem Zwang heraus. Dagegen spricht nicht nur die Empfindung von Freiheit. Ich kann bei genügend Abstand zu mir selbst, der durch Überlegung und Psychotherapie erreicht wird, sehr wohl aus Freiheit eine neue Ursache setzen und damit eine andere Ursache-Wirkungskette in Gang setzen, die die moralischen Regeln berücksichtigt. Die Kunst besteht darin, die Determinierungen zu durchschauen und sie durch den freien Willen zu überwinden, den ich mir erarbeiten muss.

Bestreite ich den  freien Willen, bleibt auch die Verantwortung fragwürdig. Die sollte man sich aber nicht nehmen lassen, denn ich gebe damit die Macht ab, über mich selbst zu bestimmen. Sich als Opfer der Umstände zu entschuldigen, macht mich zu einem unfreien Menschen, dessen Nachdenken zu keiner Befreiung führt. Es ist ein Fortschritt in der Entwicklung und Reifung herauszufinden, was mein Selbst wirklich will und was nur Konditionierung durch Umstände und Umwelt ist. Freiheit von diesen Bedingungen erleben wir als gelungenes Leben, aber immer nur in Konsens mit der Umwelt, die Regeln vorgibt, nach denen wir uns zu verhalten haben. Freiheit beinhaltet nur bedingt, auch das Schlechte zu wollen, denn das führt zur massiven Einschränkung meiner Freiheit. Mein Wille ist durch die Vorgeschichte nur bedingt beschränkt. Ich habe die Wahl, mich als Opfer der Umstände zu betrachten oder als handelndes Subjekt, das die Dinge verändern und Negatives überwinden kann. Somit ist Freiheit nicht nur ein Gefühl, dem nichts entspricht, sondern Möglichkeit in einem Selbstbestimmungsprozess der Überlegung und Distanzierung von den Determinanten, die ich erkennen muss und die eventuell gar nichts mit mir zu tun haben. Freiheit muss man sich also erarbeiten durch Nachdenken darüber, wo mich andere nur konditioniert haben und wo mein Spielraum für Veränderungen liegt. Krankheit ist oft eine Festsetzung der Opferrolle, in der ich nicht zum Akteur geworden bin, ich nicht anders handeln kann, als die Vorgeschichte es vorschreibt.

Jeder kann behaupten, dass er nicht die Verantwortung für seine Taten übernehmen kann, weil er nicht frei war. Da Freiheit aber ein Wesensmerkmal für mich als Person ist, funktioniert diese Ausrede nicht.  Negative Erlebnisse schränken den Handlungsspielraum vehement ein. Wenn ich mich aber als freies Wesen verstehe, habe ich die Möglichkeit, mich herauszuarbeiten aus dem virulenten Kreislauf der Wiederholungen. Das mag tautologisch klingen. Wenn wir aber sinnvoll von Freiheit sprechen können und wir alle intuitiv wissen, worum es dabei geht, scheint Freiheit ein Existenzial zu sein, dem wir uns annähern können, so dass die Vorgeschichte etwas ist, das wir verlassen können, um die eigenen Möglichkeiten wieder zu erweitern gegen jeden Versuch, alles zu determinieren oder Freiheit zu leugnen als einen Begriff ohne Sinn. Er ist ein Orientierungsbegriff, der uns aus der Falle holen kann, Gründe für fehlende Freiheit zu nennen. Sicher, negative Erfahrungen sind oft tief im Gehirn gespeichert und lassen uns nicht so ohne weiteres los. Wir zitieren immer wieder unsere Opferrolle, bis wir sagen: Ich kann gar nicht anders, ich begebe mich in mein Schicksal und eröffne keine neuen Räume der Entdeckung und der Erleichterung durch die Einsicht, dass ich anders kann, wenn ich will und mich entscheide und entschließe, mich zu ändern und mehr Verantwortung für mich zu übernehmen.  Die Selbstentdeckung ist immer ein Abenteuer. Identität kann neu beschrieben werden und so eine neue Lebensqualität initiieren gegen Zwänge, die nur die Unfreiheit aufrecht erhalten, die nicht zur Identität führen. Identität ist durch Freiheit gekennzeichnet, für die ich mich erkenntnismäßig anstrengen muss. Wer Zwängen und Determinierungen unterliegt, der kann den Sinn von Freiheit schlecht einsehen, Dinge zu lassen und zu tun, die mein Personsein befördern.  Je weniger ich über mich selbst weiß, desto unfreier lebe ich. Lösungen sind dann die Rettung, wenn ich mir als Person näher komme – manchmal gegen die Erlebnisse, die ich machen musste und die mich unfrei gemacht haben. Der gesunde Mensch ist frei, denn er lässt sich nicht unterwerfen und gibt sich nicht einem Diktat der Notwendigkeiten hin.

Peter Bieri:  Das Handwerk der Freiheit. München 2001 (Carl Hanser Verlag)

 

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