Was uns verbindet

Die Einheit von Ost- und Westdeutschland wird seit 30 Jahren gefeiert, die Mauer der Ideologien ist verschwunden. Aber in den Köpfen des Volkes wurden neue Mauern errichtet und diese unsichtbaren Trennungen, die das Gemüt belasten, wirken weiter. Wer solche Mauern hochzieht, will sich nicht ändern, sich nicht entwickeln und reifen. Wir haben es wissenschaftlich weit gebracht, aber etwas ist auf der Strecke geblieben und löst tiefes Unbehagen aus, weil es nicht gelungen ist, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und den humanen Fortschritt weiterzuführen für ein besseres Verständnis. Alles scheint politisch korrekt zu sein, aber das unfähige Aus- und Abgrenzen zieht sich fort in einem Beschuldigen für das Leiden, für das sich niemand entschieden hat. Dabei wäre es so leicht, einfach zuzuhören, was jemand zu sagen hat, worin sein Leiden eigentlich besteht und was dagegen unternommen werden kann. Nach dem Mauerfall traten nach kurzem Glück Misstrauen, Denunziation und Verleumdung bei entsprechender Kontrolle wieder auf. Beide Seiten vertrauen sich nicht mehr und befürchten weitere Verletzungen der Würde, der Nichtanerkennung des jeweils eigenen Lebens.

Die Wunden sind tief, man sollte sie auf keinen Fall verschweigen, denn so entstehen Feindschaften. Dabei wollten wir Freunde werden und am gleichen Strang der Gerechtigkeit ziehen. Das ist bis heute nicht gelungen.  Die Kontrolle ist nun für Ost und West gleichermaßen ein Problem des Misstrauens und des Verfehlens von Vertrauen. Wenn Algorithmen die Macht an sich reißen, dann heißt das für alle, Widerstand zu leisten. Mit der Digitalisierung ist auch unsere Demokratie bedroht, denn Computer kennen keine Persönlichkeitsentwicklung in Freiheit. Wir sind keine offene Gesellschaft geworden, wir beschuldigen uns weiter und lassen die Zeit verstreichen, die Einstellungen verändert, aber die auch ihren Ausdruck finden müssen, damit wir ein Volk werden, das sich nie wieder nach außen abschottet, sondern sich komplett entideologisiert, eine in menschlicher Hinsicht liberale Haltung annimmt, anstatt sich weiter hinter Vorurteilen zu verstecken, die gegen andere immunisieren sollen. Das rächt sich. So ganz ist es nicht gelungen, sich für die Nöte der Menschen zu öffnen und zu verstehen, dass wir in Frieden und Wohlstand leben wollen, ohne uns weiter zu diffamieren. Diese Praxis ist weit verbreitet und sie begreift die Ironie nicht  mehr, die Sachverhalte auf den Punkt bringt und uns aufrüttelt, uns selber zu durchschauen und zu korrigieren. Jede Begegnung ist eine Möglichkeit auch zur Selbstkorrektur und damit auch zu einer gewissen Demut, dass wir so vieles nicht wissen, sondern nur vermuten.

Die Frage ist doch, wie kann ich zu einem besseren Urteilsvermögen kommen? Je mehr ich integriere, umso klarer wird das Bild, denn ich erkläre mich bereit, anzuerkennen, was Menschen ursprünglich antreibt. Hier sind wir nicht so verschieden, verweigern aber das Zugeständnis. Würden wir uns also ernst nehmen und tiefer denken, sehen wir die Schranken, die wir aufbauen, um uns zu trennen, anstatt aufeinander zuzugehen in dem Versuch, an das Positive anzuknüpfen und es als Chance verstehen, das Leben tiefer zu durchdringen als Aufgabe, die wir lösen können, auch wenn wir scheinbar auseinander gedriftet sind. Die Beschuldigungspraxis verrät nur die Erstarrung und die Stagnation in der Entwicklung. Eine präzise Digitalwelt stößt auf den immer noch so unvollkommene Menschen. Es ist klar, wer hier eines Tages die Führung übernimmt, wenn der Mensch sich nicht wandelt und reift durch Erkenntnis seiner selbst in Kooperation mit anderen. Wir leben nicht in einer Hochkultur, was der Blick hinter die Fassaden offenbart. Dabei geht es nicht um faule Kompromisse, sondern um das Erkennen der Defizite und der Bemühung, diese auszugleichen, damit wir es gemeinsam besser schaffen, dieser Welt ein humanes Gesicht zu geben und uns unterstützen, das zu werden, was wir sein wollen. Ich kann nicht dankbar für Haltungen sein, die polarisieren und dadurch die Wahrheit verfehlen. Wir sind keine Kontrahenten, sondern in ihrer Identität doch schwer Verletzte, die Mühe haben, ihr Leben gegen die Nivellierung aufzubauen. Ohne Intuition und Empathie wird das nicht gelingen, denn die Vernunft ist nicht immer der beste Ratgeber. Der Kopf denkt sich in Dinge hinein, die oft keine Realität haben. Nur der ganze Mensch schafft die Versöhnung. Die Gnade der Verbundenheit kann uns heilen.

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