Teilweise leben wir in einer Kultur, die das Leiden verharmlost und beschönigt. Das hat Konsequenzen für unsere Gesundheit und unsere Leistungsfähigkeit
Es gibt viele Vor- und Falschurteile über das Leiden, das nicht die Quelle von tieferen Wahrheiten ist, sondern diese eher verhindert, weil der Mensch hier auf sich selbst zurückgeworfen wird und seine Objektivität verliert und damit auch den Zusammenhang mit der Welt. Das Leiden ist ein Isolierungsphänomen, es drängt an den Rand und verliert so die Orientierungsfähigkeit. Das Leben an sich enthält Phasen des Leidens bei Verlusten, Tod und Krankheit. Diese Phasen dürfen nicht durch vorsätzliche Leidverursachung verschlimmert werden, weil der Mensch so den Halt verliert und sein Leben scheitert. Wir allen haben einen Ehrgeiz, unseren Wohlstand selbst zu erarbeiten durch das, was uns Freude und was für uns Sinn macht. Das ist nicht verallgemeinerbar und orientiert sich auch nicht am Bedarf, der reine Fremdbestimmung wäre gegen Interesse und Ambition. Zu werden, was andere von uns erwarten, ist ein Einbruch in die Sinnhaftigkeit des Daseins und verursacht Leiden. Deshalb ist es so wichtig, sich klare Vorstellungen über die Art des Gelderwerbs zu machen, da wir sonst nur noch verheizt werden und uns selbst verfehlen. Wer sich selbst verfehlt, der kommt auch nicht bei anderen an. Er führt ein Leben im Man wie Heidegger feststellt. Dieses Man ergibt keinen Sinn, denn es ist nicht auf das Denken bezogen, durch das wir unser Leben leiten wie auch durch Gefühle. Das Man ist auch der Zustand des Leidens, denn wir können uns hier nicht selbst bestimmen. Selbstbestimmung ist aber eine Notwendigkeit für den Erhalt und das Erlangen von Gesundheit, die uns produktiv und leistungsfähig macht und so zum Gelingen des Lebens beiträgt. Wo wir uns irren, darf nicht verletzt werden, sondern muss im Dialog aufgeklärt werden, damit wir uns wieder orientieren können. Wir können in sehr tiefe Krisen geraten, wo dies unterlassen wird, denn wir kommen mit der Wahrheit zurecht, aber nicht mit der Ignoranz, der Missachtung.
Buddhismus versus Christentum
Der Buddhismus kennt die Strategien der Überwindung des Leidens, wenn Leid verursachende Menschen keine Einsicht zeigen und Prinzipien über den Dialog setzen, der so viele Polaritäten auflösen kann und mehr Einverständnis ermöglicht, als die Verweigerung annehmen lässt. Das Christentum redet viel von Versöhnung und Verzeihung, ist aber nicht in der Lage, dies auch umzusetzen, sondern beharrt auf Glaubenssätzen, die Menschen nur noch weiter schädigen. Leider verfehlt das Christentum seinen positiven Sinn, indem es sanktioniert, anstatt die Probleme aufzulösen in Barmherzigkeit und Gnade. Sicher, viele meinen die Gnade käme nur von Gott, aber das ist falsch. Auch Menschen können gnädig sein und die Probleme des Daseins lösen durch Menschlichkeit. Anspruch und Wirklichkeit klaffen aber hier auseinander. Es gelingt den verbohrten Christen nicht, den Stein wieder ins Rollen zu bringen. Sie zementieren das Leiden nur allzu oft, anstatt es überwindbar zu machen. Diese Schwachstelle behebt der Buddhismus, der deutlich sagt, dass wir das Leid überwinden müssen, um ein Leben überhaupt bewältigen zu können. Große Ungerechtigkeit lässt uns nicht los, beschäftigt Tag und Nacht und vergiftet so das alltägliche Leben, hemmt alle kreativen Kräfte und Energien und macht schließlich krank. Es geht nicht darum, dass Menschen Fehler machen und sich irren, sondern um die Reaktion anderer, die sich als unfehlbar hinstellen, obwohl sie sehr geschadet haben. Sie lassen keine Aufklärung zu, weil ihr Selbstbild ins Wanken geraten könnte. So lassen sie lieber andere leiden bis zur Entwicklung von Krankheiten, die das Leben dann schwer behindern. Dagegen richtet sich der Buddhismus, der die großen Schwächen des Christentums ausgleicht. Barmherzigkeit, Seligkeit und Gnade sind große Worte, denen aber auch Taten folgen müssen. Wir können aber jemanden nicht vergessen, der uns großes Leid angetan hat. Wir sind lebenslang gebunden an Menschen, die geschädigt haben und bestenfalls finden wir eine Möglichkeit zur Versöhnung durch Verständnis und Öffnung, durch das Verlassen der eigenen Komfortzone für die Möglichkeit des Verzeihens durch Wahrheit, die befreit.
Trennungen sind kaltherzige Lösungen ohne Wahrheit
Das Leiden versperrt auch das höhere Bewusstsein und damit die Chance auf Überwindung durch Einsichten und vor allem durch den Fluss der Kreativität, die sich nicht festlegen lässt auf einen leidvollen Status quo, der die Gesundheit zersetzt. Die befreite Energie muss mühsam erarbeitet werden und es gibt viele Rückschläge, weil die wenigsten Menschen selbst schuld sind an ihrer Misere. Man begegnet immer wieder Menschen, die einen nicht erkennen, denen der Sensor fehlt für tiefere Erkenntnisse und Notwendigkeiten. Sie können nicht die Perspektive des anderen einnehmen und kommen damit meistens auch weiter, weil sie nur um sich selbst kreisen und das Leiden nicht wahrnehmen, das sie verursachen. Der Buddhismus versucht, den Menschen aus diesen virulenten Situationen herauszunehmen und ihm den Freiraum zu geben für Distanz, die aber nie ganz gelingt, weil wir soziale Wesen sind. Dennoch müssen wir uns von leidverursachenden Menschen distanzieren, obwohl wir mit ihnen eigentlich eine Versöhnung wollen aufgrund unserer humanen Verfassung. Also steht der Mensch in dem Dilemma der Versöhnung oder der ver- und anklagenden absoluten Trennung, weil nicht einmal die Minimalverständigung gelungen ist, die wir aber brauchen, wenn wir anderen begegnen. Man kann streiten, wenn man nicht einer Meinung ist oder eben erklären, warum man keine Lösung will. Manchmal muss man sich die eigene Inhumanität auch bewusst machen und damit dem anderen die Möglichkeit geben, das Unrecht zu bewältigen, das konträre Haltungen oft nach sich ziehen. Wenn ein Leben schwer beschädigt wurde, besteht der Ausgleich normalerweise in Zuwendung. Die Zuwendung ist der soziale Kitt, der vor dem völligen Scheitern bewahrt. Das wäre die christliche Variante und wahrscheinlich auch die heilsamere, weil das Innerste, das getroffen wurde, wieder heilen kann. Es geht aber nicht um die Zuwendung von x-beliebigen Menschen, sondern um diejenigen, die verletzt haben und sich mit dieser Seite auch in Verbindung setzen müssen. Durch Leid werden wir keine besseren Menschen, sondern leider nur krank.
Eine bessere Gesellschaft durch Versöhnungen
Der eigene Schatten ist nicht immer angenehm, aber die Anerkennung vermag dann doch Veränderungen in Gang zu setzen. Wir müssen alle unseren Lebensunterhalt verdienen und finden nicht immer den geraden und direkten Weg dorthin. Dafür brauchen wir manchmal das Verständnis derjenigen, die diesen Weg sehr verbogen haben und den Sinn in Frage gestellt haben, was nicht ihre Aufgabe ist. Wir haben die Pflicht, für Sinn zu sorgen in welcher Funktion auch immer, damit das Leiden weniger wird und wir uns höher entwickeln können für ein wahrhaftigeres Christentum und für einen Buddhismus, der unsere soziale Abhängigkeit nicht negiert. Leidvermeidung ist eben auch eine Frage der Einsicht in das, was Leid verursacht hat, wo das Leben aus der Selbstbestimmung gerissen wurde und sich nicht fangen kann ohne die Mithilfe der Verursacher von Leiden. Sicher, es ist manchmal zu schaffen, die Anhaftungen zu überwinden, aber das gelingt nur partiell und vorübergehend. Die grundlegende Änderung erreichen wir nur über die Achtung des Weges von Menschen, die ihre Gesundheit und den Sinn erhalten müssen, um nicht unterzugehen und sich selbst zu verlieren. Alle Arbeit an sich selbst ist vergeblich, wenn wir keine gemeinsame Sprache finden für das, was Leiden verursacht und es endlich als das zu begreifen, was wir unbedingt verhindern müssen als aufgeklärte und soziale Wesen. Menschen, die gezielt verletzen und wissen, dass sie verletzen, fehlt der Sinn für die Verbundenheit und Verantwortung im Ganzen. Eine bessere Gesellschaft ist also vorerst in der Lage, die Sprache des Schmerzes zu verstehen, um dann empathisch entgegenzusteuern als Zeichen der Achtung vor dem Gleichen, der sein Glück und seine Erfüllung in diesem Leben sucht und nicht im Jenseits gegen einsame Versuche, alle Bindungen zu negieren und den Ehrgeiz aufzugeben, das Beste aus diesem Leben zu machen. Wir müssen uns also in der Mitte treffen und alle starren Haltungen aufgeben. Die Erlösung besteht dann zunächst einfach in einem Ich will verstehen.