Der neue Heilungsweg: raus aus den Konzepten

Der Psychotherapeut Sylvester Walch unterscheidet Ego, Ich und Selbst, um die diversen Instanzen unseres Daseins zu thematisieren, die Bewusstsein generieren und damit entsprechende Wahrheiten, die nicht alle miteinander vereinbar sind.

Der Mensch ist  auf der Suche nach Sinn und bestenfalls nach Gesundheit. Hier gibt es unzählige Angebote, die den Menschen aber auch viel Geld kosten können. Je weniger jemand weiß, desto eher muss er fremde Hilfe in Anspruch nehmen. Dagegen hilft immer noch das Lesen von Büchern intelligenter und weiser Menschen. Es gibt also immer die andere Lösung: sich selbst immer weiter zu bilden und damit zeit des Lebens auch nicht aufzuhören. Dieser Motor ist der gesündeste Impuls, weil er der lebenslang bestehenden Entwicklungsfähigkeit gerecht wird. Wer hier schon früh auf irgendwelchen vermeintlichen Wahrheiten beschränkt bleibt, wird einrosten mit allen Nachteilen, die diese Haltung mit sich bringt. Neues wird hier kaum noch zugelassen noch überhaupt erfasst. Die Identität wurde an bestimmte Erkenntnisse gekoppelt und wird nicht mehr aufgegeben oder hinterfragt. Mit der Unterscheidung von Ego, Ich und Selbst sind Weltverhältnisse gemeint und nicht in erster Linie psychische Zustände im freudianischen Sinne. Beginnen wir beim Ich. Hier zeigen sich die Widersprüche, die Ambiguitäten, das Licht und der Schatten (auch der eigene), Gut und Böse, die Rationalität eben. Der Mensch folgert daraus zwei verschiedene Möglichkeiten des Verhaltens: entweder gleitet er in den Egoismus ab (nimm Dir, was Du kriegen kannst) und wird so des Menschen Wolf im ewigen Kampf oder er macht die Erfahrung, dass  sein innerstes Selbst dann einen Anschluss an die All-Einheit hat, wenn er sie sucht als eine mögliche Erlösung von Leid und Widersprüchen  und Mehrdeutigkeiten sowie auch Komplexität so ausgehalten werden können. In der Sphäre des Ichs muss alles durchdacht werden, deswegen retten sich viele in den dogmatischen Egoismus als vermeintliche Erleichterung. Das Ich ist ständig in Aktion und angesichts der Komplexität auch oft überfordert nicht selten bei Verlust der eigenen Identität. Der Mensch sucht also den Therapeuten oder den Guru auf und profitiert von transpersonaler Psychologie.

Das Selbst ist eine spirituelle Instanz

Das Selbst stellt sich allerdings die Frage, was den Menschen in seiner Individualität, in seinem tiefsten Inneren ausmacht und er begibt sich deswegen selbst auf diese Suche in einer vertikalen Ausrichtung für die Verankerung in einer universalen Ebene. Der Blick in Bezug auf die Möglichkeit einer Selbstbeobachtung von diesem übersinnlichen Standpunkt aus reicht so in die Tiefe des Unbewussten, das mit dem Bewusstsein wieder in Einklang kommen kann trotz negativer Erfahrungen, die dieses Leben mit sich bringt und die gespeichert wurden. Es ist kein Eskapismus, denn diese Selbstforschung führt in das Engagement, weil hier klar wird, dass es auf jeden Einzelnen ankommt für das große Ganze, das gestaltet werden muss. Wer auf der Ebene des Ichs bleibt, erschwert sich das Dasein, weil keine Entspannung, keine Entlastung stattfindet und jede Idee an eine höhere Macht negiert wird angesichts des Elends in der Welt. Gott kann demnach nicht allmächtig sein. Aber dies Denken greift zu kurz, denn so viele Menschen machen eine Erfahrung mit einer höheren Macht, die aber erst wirksam wird, wenn ich das Ego- und Ichsystem öffne für eine höhere Energie, die Einheit, Glück und Frieden schafft. Hier waltet nicht mehr nur die Rationalität, sondern die Intuition, die höheren menschlichen Fähigkeiten zu Mitgefühl und Toleranz gegenüber der Vielfalt auf diesem Planeten. So ist der Dualismus von Geist und Materie ein gedachtes Resultat der Ichfunktionen. Das Selbst generiert hier Einheitserfahrungen, die die Priorität des Geistes gegenüber der Materie annehmen muss, um das Grundlegende dieses Lebens zu erfassen: willkürliche Materie ohne Plan kann es nicht geben, sie führt niemals in eine so überwältigende Ordnung. Am Anfang war der Geist (Logos wird in der Bibel mit Wort übersetzt).

Das gnadenhafte Selbst braucht keine Konzepte

Die höheren geistigen Energien führen uns zu unserem tiefsten Inneren nicht durch Konzeptualisierung und Fremdbestimmung, sondern einfach nur durch die Tatsache des Angenommenseins als Voraussetzung für die Individuation, des Teils einer Einheit, die Gutes, Wahres und Schönes schaffen will als anthropologische Konstitution. Dass dieser Weg ins Innere von jedem selbst erfahren werden kann und wohl auch muss, wird hier mehr als deutlich. Genau das wird immer noch bestritten, weil viel Geld verdient wird mit der Haltung, der Mensch könne nicht sich selbst zum Objekt der Betrachtungen machen und verlöre sich im Subjektiven. Aber der universelle Geist ist teilweise eben auch kollektiv und schützt vor egozentrischen Entwicklungen des reinen Gegeneinanders und aller damit verbundenen Probleme. Auf der Ebene des Ichs entstehen die psychischen Erkrankungen, weil die Erfahrung des Unperfekten, des Unerträglichen dieses Leben überhand nimmt. Es fehlt die Hoffnung, die Zuversicht, der Optimismus, die Tatkraft und leider oft auch die Selbstreflektion. Damit die sich nicht verirrt, braucht der Mensch den universalen Geist der Weisheit, die nicht ein reines inneres Geschehen ist, sondern eine Auseinandersetzung mit den höchsten Instanzen, die nicht determinieren oder sonstwie festlegen, sondern unsere Freiheit sichern, auch das zu werden, was wir im tiefsten Inneren schon immer sind und was verschüttet wurde. Wer hier wieder mit anderen Konzepten daherkommt, verfehlt diese Möglichkeit, das Leben für sich zu öffnen und so das Einströmen von Energien zu ermöglichen. Das Ego blockt diese Energien ab und das Ich kann sie nicht halten. In Bezug auf das Selbst ist alles tägliche Übung und nie abgeschlossene Entwicklung. Die tägliche Meditation befreit von Programmierungen und damit verbundener Blockaden. Schon wer lange in den Himmel schaut, wird von einer Empfindung der Entgrenzung und einer damit verbundenen Harmonie überwältigt. Ohne eine spirituelle Orientierung wird dieses Leben zu schwer und richtet über kurz oder lang Schaden an. Nur wer sich selbst auch von außen sehen kann, ist in der Lage, sich zu entwickeln, zu wachsen und weise zu werden. Selbsterkenntnis beruht immer auch auf einer getragene Distanzierung als Gnade.

Sylvester Walch. Vom Ego zum Selbst. Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes. München 2011

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