Die Kunst der Kritik für eine demokratische Kultur

Deutlich erkennbar leben wir in einer Zeit der Resignation, die sich vor allem in der Politik zeigt und zu einem Zynismus der Passivität führt sowie in den Rückzug der dogmatischen Privatheit.

Demokratie ist eine öffentliche Instanz, die bestenfalls bis in die Privatsphäre reicht, wo  Themen und Meinungen ausgehandelt werden müssen, um vielleicht zu höheren Erkenntnissen zu kommen im Sinne des Hegelschen dialektischen Denkens, das Meinung und Gegenmeinung abwägt, zu Synthesenbildung in der Lage und die weiseste Form des Dialoges ist. Man schmeißt sich hier nicht rechthaberisch die eigene Meinung an den Kopf, sondern man erarbeitet sich gemeinsam Standpunkte, die dann auch zum politischen Engagement führen könnten. Realpolitik ist ein schwieriges Aushandeln unterschiedlichster Interessen. Dies darf nie zum Stillstand kommen. So verstandene Demokratie ist ein Schutz vor Diktatur auch eines Mainstreams, weil hier das Selberdenken eher nicht mehr funktioniert. Solche Simplifizierungen reichen dann auch in die private Kommunikation hinein. Kritik und kritischer Verstand sind die Voraussetzungen für Gestaltung, denn ich muss wissen, was nicht geht, was nicht trägt und was immer wieder zu Störungen und Missverständnissen führt. Jeder kennt diese Leute aus dem Privatleben. Sie verstehen jede Kritik als Ablehnung. Das schwache Ich kann nicht differenzieren, denn Kritik will ein besseres Verständnis, eine neue Basis für positive Veränderungen. Wer aber diese Fähigkeit zum neutralen Diskurs nicht gelernt hat, der wird auch mit einer Demokratie nicht einverstanden sein und nicht zurechtkommen. Im anspruchsvollen dialektischen Denken finden die Kommunikatoren eine Synthese, eine gemeinsame Basis für weitere Entwicklungen. Wer aber in excessi die eigene Meinung dann auch oft noch aggressiv vertritt, der klammert sein kleines Ego an Standpunkte, die absolut gesetzt werden. Diese Neigung zur Absolutheit ist zutiefst undemokratisch. Hier darf man Bedenken äußern, ober der Mensch wirklich zur Demokratie fähig ist.

Das Anerkennen von Vielfalt ist politisch gewollt und scheitert oft schon im Privaten

Reifung besteht darin, andere Standpunkte gelten zu lassen und auch die eigenen zur Disposition zu stellen. Ein Thema will von vielen Seiten erörtert werden. Einfache Lösungen gibt es in einer Demokratie nicht.  Das müssen wir eben auch aushalten, denn das Herunterbrechen auf simple und vermeintliche Wahrheiten führt in die schleichende Abschaffung der Demokratie. Es geht hier nicht um die oft heuchlerische political correctness, durch die der Einzelne nun glaubt, er stünde auf der richtigen Seite. Diese Fallen des Nichtdenkens laueren überall. Konsens muss aber erarbeitet werden und manchmal bleibt auch etwas kontrovers, aber immerhin doch in  Bewegung. Jeder sollte sich  mal fragen, wie viel Demokratie er in seinem Privatleben erlaubt, in der Meinungen auseinander driften. Starke Charaktere können das aushalten und verstehen Kritik als Interesse an Wandel und Entwicklung, schlichtweg klüger und interessierter zu werden. Auch kein Spiritualismus darf ins Unpolitische abgleiten, weil Demokratie eben auch eine Anstrengung ist für persönliche Reifung und weiteren Horizont, den ich zwar spirituell öffnen kann, damit ich handlungsfähiger und aktiver werde in der Gestaltung unsere privaten und öffentlichen Lebens, aber der nicht zur Untätigkeit verkommen darf. Dazu sind wir alle aufgerufen, jeder nach seinen Fähigkeiten. Die Einübung in die Demokratie besteht nicht im passiven Hinnehmen von Lernstoffen, sondern in der Fähigkeit, von sich selbst absehen zu können im aktiven Überdenken anderer Meinungen und Erkenntnissen. Es ist eine Frage der Supervision sich selbst gegenüber und bestenfalls eines Humors, der es erlaubt, sich nicht ständig so wichtig zu nehmen. Selbstwerdung besteht nicht im Dogmatismus des ewigen Besserwissens, Festlegens und Determinierens, sondern im Mitschwingen auch gerade in und durch die Verschiedenheit, die Unterschiedlichkeit von Menschen, die eben auch anders denken. Wer hier nicht demokratisch konstituiert ist, gerät in die Konfrontation, in den destruktiven Streit und in die Ablehnung. Wir leben hier noch lange nicht in der Hochkultur des Diskurses und damit gefährden wir die Demokratie.

 Politik ist immer auch Psychologie

Jürgen Habermas hat Bücher über Glauben und Wissen sowie über Erkenntnis und Interesse geschrieben. Selbst unser Wissen ist durch Interessen eingeschränkt und nur wenig ist hier für die Ewigkeit. Aber wir brauchen eine Instanz, die in der Lage ist, zu revidieren, zu verbessern und zu relativieren. Viele meinen, die Vertretung von dogmatischen Meinungen mache ihren Charakter aus. Aber der hoch Gebildete weiß um die Beweglichkeit und Vorläufigkeit unseres vermeintlichen Wissens. Und letztlich ist es eine Frage des eigenen beweglichen Geistes gegen  eine rigorose Vertretung von Statements, mit der sich der Ichschwäche identifiziert. Solche Identifikationen können sehr destruktiv werden, denn es geht ihnen immer um die Durchsetzung und Zementierung der eigenen  Meinung, die sie nicht zur Disposition stellen wollen. Demokratie ist hier nicht verwirklicht und findet offenbar nur in ganz elitären Kreisen statt, in denen man Freude hat am Denken, am Nachdenken, an Kontroversen, an der Kritik, die immer Voraussetzung für die Gestaltung ist, denn ich muss wissen, was kein Fundament sein kann. Ein Haus aus Sand will auch keiner bauen. Kritik zu verteufeln verrät nur die eigene Ichschwäche, denn es ist sicher die bessere Wahl, sich mit einem dialektischen Geist zu identifizieren als mit allzu eingeschränkten Meinungen. Der fluide Geist leidet unter solchen Borniertheiten, die auch langweilig sind, weil sie nicht mehr weiter bedacht werden. Alles abzulehnen, was nicht in den eigenen beschränkten Horizont passt, ist autoritär und isolierend. Wir haben es auch nicht geschafft, Verbundenheit über die hohe Kunst der Debatte, die sicher ein hochfrequentes Unternehmen ist, zu erreichen. Ein reines Gefühl der Verbundenheit bleibt etwas suspekt, denn die Realität zeigt, dass das ein frommer Wunsch ist, dem nicht so viel entspricht. Spiritualität kann uns dazu verhelfen, die Kunst der Kommunikation zu erlernen für wahrhaftige demokratische Haltungen, die eine Multiperspektivität zulassen kann, anstatt sich in simplen Eindimensionalitäten bequem zu machen. Das Leben ist nur in einer beweglichen Kommunikation, in der keine Denkverbote existieren und Bedenken nicht als Affront verstanden werden, sondern als Wille zum Diskurs. der unser aller Leben verbessern kann. Wir sind demnach keine Gemeinschaft der Gleichgesinnten, sondern der Diskursfähigen. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg und er kann völlig scheitern.

Sylvester Walch. Vom Ego zum Selbst. München 2011

Theodor W. Adorno: Studien zum autoritären Charakter. Frankfurt am Main 1950

Max Horkheimer, Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung. Frankfurt am Main 1947

Jürgen Habermas: Glauben und Wissen. Frankfurt am Main 2001

Jürgen Habermas: Erkenntnis und Interesse. Frankfurt am Main. 1973

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