Bei sich sein

Um ganz bei sich anzukommen, müssen wir die Aufmerksamkeit aus der Außenwelt hinlenken auf das Selbst nicht im Sinne einer Selbstbespiegelung, sondern einer Selbstaufmerksamkeit, die befreit von den Zumutungen und den Raum öffnet für den Wandel und die Zukunft

Karl Marx war noch sozialethisch der Meinung, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt. Aber wir haben von den Buddhisten gelernt, dass das nicht stimmt: Das Bewusstsein bestimmt das Sein. Dabei geht es nicht um den kranken Narzissmus, sondern um das reflektierte Selbst, das sich relativieren und korrigieren kann. Die Erwartungen, die wir haben und die Erwartungen, die andere an uns stellen, werden in Frage gestellt. Ich lasse los, um mich den Verletzungen zu entziehen, die unpassende Verhältnisse mir zufügen wollen, wenn ich sie nicht durchschaue und in ihre Grenzen weise. Und ich muss Grenzen setzen, um meine innere Freiheit zu sichern, die ich benötige für die eigene Wandlungsfähigkeit. Auch konstruktive Auseinandersetzungen mit anderen können ausgleichen und so in die eigene Mitte führen wie jedes kritische Selbstdenken auch bezüglich der eigenen Person. Ich will nicht den ungerechtfertigten Erwartungen anderer ausgesetzt sein und stelle das klar über eindeutige Aussagen. Ich  nehme den anderen wahr, aber ich sage auch, dass ich diese Anliegen nicht erfüllen kann. Mein Bewusstsein korreliert nicht mit einem anderen Bewusstsein, das sich nicht erforschen will und sich nicht selbst durchschaut. Wenn ich die Selbsterforschung  leiste, bleibt das auch eine Forderung an andere, die aber nur auf Einsicht beruht und kein Zwang ist.

Wahres Denken ist das Zweifeln und die Kunst, nicht zu verzweifeln

Wie wichtig diese innere Freiheit ist, merken wir, wenn wir diese Mitte verlieren durch die Verletzungen, die andere uns zufügen. Wahrheit verletzt nicht. Die Lüge verletzt und die fehlende Aufrichtigkeit. Wo jemand die Wahrheit sagt, da findet Leben statt, da kann sich etwas bewegen und sich zum Besseren ändern. Bin ich überall auf Bestätigung aus und stelle mich dauernd ins Licht, da fehlt der Raum für den Wandel. Der Mensch bleibt stecken und bespiegelt sich nur noch selbst. Wachstum ist kein Zufallsprodukt, es beinhaltet Arbeit an sich selbst. Bestenfalls haben wir Mitarbeiter, aber wir sollten uns davon nicht abhängig machen. Was nicht ist, das sollte uns nicht verzweifeln lassen. Alles, was wir brauchen, finden wir zunächst in uns selbst. Das Vertrauen, dass sich auch die Außenwelt ändert, sollten wir kultivieren. Hier hilft der Glaube und die Zuversicht in die Wirksamkeiten allen Bemühens. Ich werde gesehen und sehe die neuen Möglichkeiten. Es helfen auch nicht die langweiligen Mantras bezüglich einer Vergangenheit, sondern der Wille, dem wahren Wesen des Daseins zu begegnen ohne Maske und Verkleidung. ich muss mich nicht als etwas darstellen, was ich nicht bin und ich bin, was ich denke – kein Aufschneider und Blender, sondern ein Mahner zu mehr Wahrheit und Aufrichtigkeit, was immer den Zweifel impliziert. Das ist kein Widerspruch. Wer wirklich denkt, relativiert sich und seine Leistungen. Hier finden wir eine Ebene der Begegnung. Unterschiede im Sein heben sich hier auf. Dafür brauchen wir alle ein höheres Bewusstsein, das keine materiellen Determinanten akzeptiert. Es ist frei und lehnt alle Determinierungen auch die über Verletzungen ab. Wie sehr Verletzungen determinieren, kann man daran sehen, dass Menschen daran erkranken können. Und die schlimmste Verletzung, die uns angetan werden kann, ist die der Ignoranz. Ausgrenzung hat entwicklungsgeschichtlich in den Tod geführt. Dieses phylogenetische Programm müssen wir aber unwirksam machen, indem wir es durchschauen, uns bewusst machen.

Jenseits aller Bestätigungen und Eitelkeiten

Ich überlebe also, auch wenn mich jemand ausgrenzt aus einem Kontakt. Kontaktverweigerungen beruhen auf einer Unfähigkeit, die Änderung einer Lage herbeizuführen oder ein Bedauern zu äußern. Sie ist die ultimative Distanzierung und macht uns selbstverständlich fassungslos. Hier will jemand auf der Kluft bestehen, die aber überwindbar ist  durch die Bewusstseinsarbeit, die so vieles relativiert, was wir für absolut notwendig betrachten. Soziale Zwänge, die übersehen, dass es der Geist ist, der uns vereint und damit ein Bewusstsein über wirkliche Notwendigkeiten. Verbinden kann uns die Einsicht, dass jede ernst gemeinte und wahrhaftig betriebene Auseinandersetzung ein Gewinn ist. Hier geht es nicht um primitive Bestätigungen, sondern um den Impuls zum Weiterdenken bis in die Sphäre einer Spiritualität hinein, die uns demütig machen sollte. Wir sind nicht vollkommen, aber wir sind auf dem Weg. Selbstbeweihräucherungen auch durch andere stehen wir eher kritisch gegenüber, denn der Mensch irrt nur allzu leicht und verliert das Maß. Die weltlichen Kriterien sind gültig auf ein Man, aber nicht in Bezug auf das Selbst, das sich dort zurückzieht, wo es vorsätzlich nicht gesehen und verunstaltet wird durch ein Nichtwahrnehmen. Es gibt Vergebliches im Reich der Eitelkeiten, nicht aber im Reich des Bewusstseins. Hier kommen wir in Verbindung nach der Beseitigung des Schleiers eines nicht reflektierten Ichs, das sich nicht bewegt. Ich bin nur dann ein guter Kommunikationspartner, wenn ich nicht ständig glänzen will, sondern auch den Mangel, das Defizitäre sehen und benennen kann. Manch einer treibt auch das zu weit (ein weibliches Verhalten)  und es muss hier wieder gegengesteuert werden. So kommen wir ins Gleichgewicht und gewinnen den heilen Raum zurück, der Schwächen und Stärken erkennt und sich nicht hinter einer Fassade verstecken muss. Mentale Gesundheit kann ein langer Prozess sein, wenn man sie durch fehlende Vorsicht verloren hat. Wir müssen zwar positiv denken, können aber nicht alles schön reden und überbewerten. Ohne eine reife Spiritualität können wir dieses Gleichgewicht und diese Ausgeglichenheit kaum erreichen. Alle Bewusstseinsarbeit führt in ein spirituelles Leben und manchmal eben auch in ein Kloster.

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