Der sechste Sinn bezieht sich nicht nur auf den Körper

Spiritualitiät und Bewusstseinsarbeit sind kein Selbstzweck. Die Kultivierung und Differenzierung der Wahrnehmungsfähigkeit kann gesteigert werden bis hin zur Erfahrung einer geistigen Sphäre der höheren Einsichten

Wenn wir das Ziel haben, besondere und außergewöhnliche Erfahrungen zu machen für ein klareres Bewusstsein dessen, was menschenmöglich ist, müssen wir den Körper transzendieren und damit auch das Ichbewusstsein. Alles Körperliche determiniert und kann den Geist nicht befreien. Das ist auch der Grund, warum hohe Spiritualität und Sexualität schlecht vereinbar sind. Diese subtile Sphäre des Geistigen ist störbar, wird durch zu viel Körperlichkeit verletzt und eingeschränkt. Wir erreichen hier den sechsten Sinn samt seiner besonderen Erkenntnisvermögen nur, wenn wir den Körper in die Schranken weisen. Seine Materialität ist ein Hindernis auf dem Weg zur geistigen Transformation der Erkenntnis und der Heilung. Wie mächtig der Geist ist, zeigt uns die Placeboforschung. Wer will hier noch zweifeln. Ohne Transzendierung bleiben unsere Erkenntnisse aber banal und profan und führen nicht in ein Leben der geistigen und spirituellen Kompetenzen, die unser Leben eigentlich so interessant und sinnvoll machen. Unsere intuitiven Fähigkeiten können ein hohes Maß erreichen, wenn wir uns selbst befreit haben von den engen Grenzen des Ichs, das vom Selbst unterschieden werden muss. Das Ich ist behaftet mit einer Reihe von materiellen Eigenschaften und Bedürfnissen, die das Selbst sehr wohl aufgeben kann zugunsten eines höheren Bewusstseins über den eigentlichen Seinsgrund, der nicht darin besteht, dass wir essen, schlafen und sexuell aktiv sind, sondern der darin liegt, dass wir mit diesem Leben achtsam und rücksichtsvoll umgehen, damit keiner zu Schaden kommt.

Der emergente Sinn

Die Entwicklung des sechsten Sinns verbietet uns die Schädigung der Natur und von Menschen. Wir wissen hier um die Zusammenhänge und geistigen Gespinste, die eben dafür sorgen, dass wir zu qualitativ höheren Kontakten fähig sind und die völlig immateriell sind. Es ist die Erreichung einer heiligen und feinstofflichen Sphäre der Kohärenz und der Konnektivität, die man letztlich Menschen auch ansehen kann, wenn sie in ihr leben und ihr Leben darauf ausrichten. Fleischkonsum und Sexualität spielen hier keine Rolle. Sie erlauben keinen Aufstieg in den sensiblen Bereich des Daseins, der aber für jeden offen steht und damit zugänglich ist, wenn er denn ein paar Regeln beachtet. Wir hätten eine andere Welt, wenn jeder nach dem sechsten Sinn streben würde, der eine Kombination aller Sinne ist und doch weit über sie hinausgeht. Es ist also ein emergenter Sinn, der wegen seiner speziellen Einsichten Leid beheben kann und so in ein Leben der Gelassenheit führt. Wir brauchen hier viele Dinge nicht mehr und können uns dem Wesentlichen zuwenden. Das Selbst wird losgelöst und ist doch verbunden in einem Sinn der Einsichten. Es handelt sich um die mystische Ebene der Einheit. Diese Ichentgrenzung ist der Seinsgrund und wird vom Ich verdeckt, das konventionell denkt und handelt. Das Ich bleibt im Gewöhnlichen und entwickelt entsprechende Kriterien, die aber oft der Wahrheit unseres Daseins nicht entsprechen. Das Eigentliche sehen wir so nicht. So bleibt das Miteinander oberflächlich und nichtssagend. Letztlich will der Suchende und spirituelle Mensch tiefer und eben hinter die Fassaden blicken. Hier finden keine Täuschungen mehr statt, wir sehen genau, was ist.

Die Annäherung an das Ding an sich

Der Zen-Geist befreit sich von allen Konstrukten und kommt so zu sich selbst. Er erkennt die eigenen Strukturen und gewinnt so allgemeine Erkenntnisse. Das Ich kann eine enorme Verstellungspraxis sein, die nur Allgemeinplätze kennt. Diese Maskeraden dienen der Beeindruckung, aber nicht der Wahrheit über sich selbst. Wer sich selbst nicht erkennt, der hat auch keinen Zugang zu anderen. Aber wer die Aufgabe ernst nimmt, wird mit erstaunlichen Einsichten beschenkt. Alle Finalität und Teleologie des Lebens besteht in der Erreichung einer Selbsttranszendenz, die aber nicht zu haben ist ohne Selbsterkenntnis, die den sechsten Sinn will. Die Befreiung von den Fesseln des Ichs, das eben bestimmte Dinge will oder nicht will, zeigt das Selbst, wie es ist und wie es sich entwickeln kann. Wachstum ist eigentlich nur möglich, wenn ich die Einflusssphäre des Geistes erweitere auf das Gebiet der subtilen Vermögen höherer Einsichten für eine Gelingen von Beziehungen und für ein verständnisvolleres Miteinander. Für den Zen-Geist bedarf es der täglichen Kontemplation/Meditation, die das Denken verändern und die Wirklichkeit entschleiern für die Entwicklung von mehr Klarheit und Tiefe. Unsere geistigen Vermögen sind längst nicht ausgeschöpft, aber die Frage ist, ob wir das alles wissen wollen, was uns die Sphäre der Spiritualität zeigt. Dafür bedarf es einer guten Resilienz, die wir gewinnen, indem wir uns vertikal verankern und sich hier die Raumzeit auflöst. Dabei geht es nicht um Intellektualität, sondern um das spirituelle Vermögen der Synthese, der Empathie und der erweiterten Erkenntnisse. Unser eigener Geist ist hier die Quelle der Heilung und der Entfaltung des geistigen Potenzials als ein Durchdringungsvermögen und für eine Korrelation der Bewusstseinsentitäten auch mit dem Unbewussten.

Arbeit an sich selbst

In der westlichen Kultur denkt man in Abhängigkeiten und erwartet oft Lösungen durch andere. Aber wer es gelernt zu denken und sich zu befreien, bleibt hier skeptisch und besinnt sich auf die eigenen Fähigkeiten, Dinge zu durchdringen für ein intensiveres und interessanteres Miteinander

Wir arbeiten nicht primär an uns aus Selbstoptimierungsgründen, sondern weil wir mehr verstehen wollen – auch uns selbst. Viele führen ein Leben an der Oberfläche und möchten auch gar nicht tiefer schauen. Solche Kontakte werden banal und langweilig. Um aber geistig und körperlich in Bewegung zu kommen oder zu bleiben, müssen wir die Eigenkräfte mobilisieren, die nichts mit Vereinzelung zu tun haben, sondern sich um mehr Gehalt in den Kontakten bemühen. Das Leiden am Sinn des Lebens ist oft ein Leiden am eigenen Unvermögen, die Dinge neu zu denken und eingefahrene Ansichten loszulassen, die nichts zu einem besseren Verstehen und einer besseren Verständigung beitragen. In der östlichen Kultur hat man die Hilfe zur Selbsthilfe gelernt. Diese Selbstkompetenz vermittelt ein gesundes Selbstbewusstsein und informiert Geist und Organismus positiv. Im Westen schreit man bei jeder Kleinigkeit um Hilfe und verliert so nach und nach das Bewusstsein für die eigenen Fähigkeiten. Der Mensch schrumpft, anstatt zu wachsen und sich zu entwickeln, auch um ein interessanter Gesprächspartner zu werden. Soziale Kontakte sind nicht einfach vorhanden, wir müssen sie gestalten und sie immer wieder neu betrachten, damit sie produktiv werden können im ganz allgemeinen Sinn. Sie wirken nur, wenn sie sich immer wieder neu auf den anderen einstellen können. Selbstverständlichkeiten lähmen und nehmen den Kontakten ihre Lebendigkeit. Wachstumshilfe auch für andere kann man vor allem auch über eine buddhistische Yogapraxis lernen, die insgesamt den Aufmerksamkeitsprozess erhöht und Missstände schneller erkennen lässt.

Wer am Selbst arbeitet, entwickelt auch das Soziale

Wer also ein Problem hat, sollte zunächst einmal versuchen, es selbst zu lösen. Gespräche bringen nur dann etwas, wenn ich für mich eine Lösung gefunden habe oder eine Haltung, die mir in der Selbstreflexion auch ganz bewusst werden muss. Oft ist die Erreichung des Bewusstseins schon die Lösung des Problems. Aber man braucht Geduld und Zeit, denn nicht alles ist sofort offensichtlich. In Gesprächen wird oft deutlich, wie wenig am Bewusstsein gearbeitet wird trotz der oft hohen Erwartungen an andere. Wenn  ich aber etwas von jemandem will, muss ich dafür auch etwas tun. Nichts ist einfach so vorhanden oder präsent. Wenn ich Aufmerksamkeit will, muss ich auch einen Grund dafür liefern. Wir sind nicht in der Kindheit der Bedingungslosigkeiten. Und Zeit wird immer kostbarer, ich kann sie nicht vergeuden mit Smalltalk und Dampfplauderei, die ja Ausdruck von wenig Bewusstsein sind und die Kontakte nicht vertiefen können. Wer an sich arbeitet, will auch, dass sich Soziales entwickelt. Alle Mühe wäre ja sonst vergeblich. Chronische und schizoide Kontaktverweigerer vergessen, dass der Austausch, die Verständigung manchmal eben notwendig ist und die Unterlassung zu enormen Störungen führen kann. Kontakte kann man zwar nicht erzwingen, aber manchmal muss man sogar in den Kontakt, um ihn dann ganz aufzulösen, wenn das so gewollt ist. Reines Vermeiden lässt zu viele Fragen offen und das Gedankenkreisen um die Person lässt nicht nach. Wir sind soziale Wesen, aber nicht qua Horde, sondern als Ausdruck unserer Identifikationen, ohne die wir keine Gruppen bilden können. Die Selbstidentifikation ist die Voraussetzung für ein bewusstes und wachsames Leben, ohne dass wir keinen Sinn erfahren. Ich identifiziere mich auch nicht über ein Umfeld, sondern bin Gestalter einer sozialen Konstellation mit Anspruch und zwar mit dem Anspruch, den ich an mich selbst stelle. Das ist legitim.

Narzissmus verhindert Wachstum und damit eine reife Auseinandersetzung

Gegen alle Fassaden, Masken und Rollen finde ich also einen Selbstausdruck, der mich eben auch unterscheidet und Entscheidungen erst möglich macht. Bewusstseinsarbeit verdeutlicht die Unterschiede, ohne aber Gemeinschaft unmöglich zu machen. Sie hat eben einen anderen Modus als den einer Gleichheit, die ja eher selten vorkommt. Synthesen müssen also auch hier erarbeitet werden oder bleiben eben auch einfach aus. Aber auch unterschiedliche Positionen können produktiv sein, wenn man denn auf Rechthaberei und pigheadedness (Starrköpfigkeit) verzichten kann. Je weniger ich denke, um so mehr bestehe ich auf Meinungen und Dogmen oder Verschwörungen. Die zu hinterfragen gelingt nur dem offenen Menschen, der sich bewusst mit den eigenen Haltungen auseinandersetzt. Nur der kann sich auch mit anderen auseinandersetzen und anerkennen, dass Konsens kein Zufall ist, sondern ein Prozess der wahrhaftigen Verständigung. Die will gelernt sein wie alle Selbsterforschung, die falsche Selbsteinschätzungen aufdeckt und erlöst.  Erlösung ist also primär eine Eigenleistung in der Erkenntnis, dass ich dafür immer eine höhere Energie benötige und ein höheres Bewusstsein anerkenne. Respekt kann also vor allem der erwarten, der sich bemüht, mehr Licht in die verworrenen Verhältnisse zu bringen und aufzuklären über Unzulänglichkeiten. Auch die Kontroverse will gelernt sein. Sie legt offen und sollte nicht als Destruktion oder Ablehnung verstanden werden. Es zeugt von kindlichem Gemüt, wenn hier nicht unterschieden wird. Jedem Wachstum steht allerdings ein unreifer Narzissmus entgegen, der sich eben nicht ändern will und sein Lied so lange singt, bis es wirklich keiner mehr hören will.

Eine Kirche in Bewegung?

Der synodale Weg hat Vorschläge ausgearbeitet, die längst überfällig waren. Die Frage bleibt aber offen, ob sich die Kirche nun endlich verändern wird oder nicht

Es geht um das Selbstverständnis der katholischen Kirche, die hochmütig über das Schicksal von Menschen gerichtet hat und nun selbst demütig werden muss. Die Demut forderte sie von den Mitgliedern auch durch die Mittel der Ausgrenzung, des Totschweigens, der Vertuschung und der Diskriminierung. Altes klerikales Machtgehabe hat lange genug Menschen unter Druck gesetzt und auch krank gemacht. Jetzt steht die Kirche insgesamt mächtig unter Druck und muss den Ruf nach Reformen und Erneuerung ernst nehmen. Das behagt ganz vielen Vertretern der Kirche überhaupt nicht. Die Frauenordination, die Anerkennung von Homosexualität und Geschiedenen, die Abschaffung des Pflichtzölibats sind für viele noch undenkbar. Die Glaubwürdigkeit hat schwer unter den Missbrauchsfällen gelitten. Die muss sie nun durch überzeugende Veränderungen zurückgewinnen. Ein ewiges weiter so ist nicht  mehr denkbar.  Die Kirche hat viel Vertrauen verspielt und viele Menschen vor den Kopf gestoßen mit ihrer Haltung der Ignoranz, ja der Arroganz.  Diese klerikale Geheimbündelei muss nun einer Transparenz weichen, die für alle eine Erleichterung bedeuten könnte. Sagen, was ist und kein Blatt vor den Mund nehmen ist nicht die Stärke ihrer Vertreter. Sie wollen sich nicht wirklich auseinandersetzen, sehen nicht die Notwendigkeit. Der synodale Weg ist ein Vorstoß in demokratischere Verhältnisse, die den Menschen wieder gerecht werden könnte und in einen freien Dialog ohne Vorbehalte führen könnte. Die Zuversicht in diese heilsame Dynamik fehlt völlig.

Klerikalität ist nicht vorwiegend männlich

Die Männerkirche, die ohne Frauen nur degenerieren konnte, hat ausgedient. Um zu heilen, bedarf es einer Mitwirkung von Frauen bis in die höchsten Ämter. Die Angst, dem Zölibat nicht gewachsen zu sein, brachte eine Misogynie zum Vorschein, die sich bis in viele Haltungen hinein auswirkte. Was nicht männlich dachte, war sowieso suspekt und wurde bekämpft. Diese Kirche hat ausgedient, denn der Missbrauch ist männlich und die Zahl der Opfer auch ganz allgemein ist hoch. Man scheut die Offenheit und damit die Möglichkeit, Dinge wirklich zur Sprache zu bringen für eine bessere und gesündere Verständigung. Der Dünkel männlicher Klerikalität hat heute nur noch einen schlechten Nachgeschmack, weil er die Frau diskriminiert, indem er nicht nur die Weihe verweigert, sondern das weiblich Vermittelnde schlichtweg ablehnt. Aber was macht eine gute Kirche aus? Sicher die spirituelle Begleitung in allen Lebenslagen und ganz besonders in schwierigen. Aber wer wurde nicht alles von der Kirche gerade hier verlassen, weil sie an Dogmen festhält, die unserer Lebenswirklichkeit widersprechen. Man will Menschen weiterhin in ein Korsett zwängen, anstatt sich für ihre Freiheit einzusetzen und für eine reife Spiritualität, die sich auch anderen Religionen öffnet und so neue Angebote integrieren könnte. Die Sinnvermittlung ist auf der Strecke geblieben. Dabei könnte sie ein deutliches Gegengewicht zum profanen Hedonismus liefern.

Eine moderne und bunte Kirche könnte nun möglich werden

Mit überkommenen Vorschriften kann man heute keine Menschen mehr gewinnen. Sie hat ihre Heiligkeit grundlegend verloren auch durch die, die die Kriminellen gedeckt haben und lieber weiter von Sünden sprechen in Bezug auf Homosexuelle und Geschiedene. Das ist peinlich und unverzeihlich. Sie hat nicht differenziert und zeigte keine Barmherzigkeit. Menschen begehren nun auf, aber vielleicht gerät die Kirche auch in die Bedeutungslosigkeit, wenn wieder keine Reformen umgesetzt werden. Zu lange war man sich sicher, dass man die alten Zöpfe noch lange erhalten könnte. Eine aufrichtige und reuevollen Kirche muss ihre Fehler endlich eingestehen und das Fehlende benennen. Sie ist einseitig und eindimensional und vermag Menschen nicht mehr zu begeistern. Das sollte aber wieder ihr Programm werden  mit Menschen, die sich dieser Aufgabe annehmen wollen – egal mit welchem legalen Hintergrund. Starrsinn ist nur noch Schwäche und öffnet nicht den Raum für ein moderne und bunte Kirche. Viele sehen sich nicht integriert und treten aus. Um Menschen wieder zu gewinnen, bedarf es nun besonderer Anstrengungen und Wiedergutmachungen, auch um das wahrhaft Heilige zu retten. Menschen möchten der Kirche wieder vertrauen können. Dafür muss sie jetzt viel leisten, wenn sie denn endlich in Bewegung kommen würde.

Psychotherapie im 21. Jahrhundert

Immer mehr Menschen benötigen eine Psychotherapie, weil ihre Entwicklungsfähigkeit an ein Ende gekommen ist durch innere oder äußere negative Ereignisse. Über den Zugang zum Selbst müssen wir uns heute Gedanken machen

Es soll nicht verschwiegen werden, dass es ein schwieriges Thema ist, denn viele Modelle, Methoden und Metaphern sowie Konstrukte werden der menschlichen Komplexität nicht gerecht. Ein Dogma wollen wir aufbrechen und zwar jenes, das behauptet, für eine Therapie bedarf es unbedingt eines Therapeuten. Der Mensch ist zwar auf den Dialog angewiesen, weil er sich verständigen will, aber in Bezug auf die Veränderung, die Entwicklung des eigenen Selbsts braucht er vor allem Einsichten und Erkenntnisse, die er auch in der Selbsterforschung gewinnen kann. Freud hat noch behauptet, dass die Abwehrmechanismen den Zugang zum Selbst versperren und die nur durch einen erfahrenen Therapeuten beseitigt werden können. Aber durch die kontinuierliche und ernst genommene Bewusstseinsarbeit gibt das Unterbewusste nach und nach seine Motivationen frei, so dass sie bearbeitet werden können. Sicher freuen wir uns über gelungene Diskurse und Dialoge, aber sie sind eher eine Folge der Selbstarbeit und der Selbstherapie, die der eigenen Wahrheit und Komplexität am nächsten kommt.  Wir können ein Leben lang zum Therapeuten rennen und doch keinen Schritt weiterkommen, weil Therapeuten nur bestätigen und spiegeln, aber den Bewusstseinsprozess nicht wirklich in Gang setzen, dass ich mich um mich selbst kümmern muss, wenn ich Fortschritte machen will.

Bewusstseinsarbeit ist der Dialog mit sich selbst für eine bessere Verständigung mit anderen

Lawrence LeShan meint in seinem Buch Beyond technique, dass ein Therapeut seinen Patienten lieben müsse, um ihm wirklich helfen zu können. Nun ist das faktisch schlichtweg selten machbar. Der Patient wäre von diesem Vermögen abhängig. Gerade das sollte man aber vermeiden. Der Patient reift nicht durch die Liebe, sondern durch Erkenntnisse und Bewusstsein. Liebe bestätigt nur das Vorhandene, das aber gerade pathologisch sein kann bzw. ein Unbehagen verursacht. Die Frage ist, ob Einsichten durch Dialoge eher eintreten als durch die Bewusstseinsarbeit? Die Frage muss man mit einem Nein beantworten. Da die Selbsttherapie eher eine schriftliche ist in Kombination mit Kontemplation, wird der Gegenstand ihrer Untersuchung konkreter und offensichtlicher und kommt in einem Gespräch vielleicht auch nie zur Sprache, da wir hier auch immer mit Selbstdarstellung befasst sind. Aber um die geht es nicht bei der Selbsttherapie. Hier wollen wir erfahren, was mich als menschliches Wesen ausmacht, wo meine Stärken und meine Schwächen liegen und wo ich Entwicklungsbedarf habe. Dafür muss ich oft tief liegende Zusammenhänge erkennen. Nur das Resultat kann ich dann mitteilen, vorher bleiben sie unbewusst und können nicht geäußert werden. Eigentlich kennt der Mensch sich sehr gut, er hat nur verlernt, genau hinzusehen und Worte zu finden für sein Elend. Will er nur bedingungslos geliebt werden wie ein Kind, wird er nicht wirklich reifen und einen Gewinn aus seinem Reifungsprozess ziehen, immer mehr Dinge zu durchschauen. Es bedarf dafür eines Dialogs primär  mit sich selbst für eine bessere Verständigung.

Intensive Bewusstseinsarbeit ermöglicht Emergenz

Wir wenden uns also phänomenologisch den Problemen an sich zu und lassen alle äußeren Herangehensweisen außer Acht, denn die verzerren oft nur die Lage. Kategorien aller Art werden wirkungslos, wir nähern uns dem Selbst ohne Voreingenommenheiten und Denkkonstrukte. Wenn es wieder erblühen soll, muss es ganz bei sich selbst sein dürfen und so die Fähigkeit erhalten, sich zu korrigieren und auch kritisch zu betrachten, was ein Kind ja nun eben gerade nicht kann. Wir als erwachsene und denkende Menschen haben dieses Vermögen und können davon auch nur profitieren. Vieles ist schmerzhaft, aber dagegen mobilisieren wir die Belohnungsmöglichkeiten. Wir tun dann das, was uns Freude macht, nachdem wir uns und auch andere durchschaut haben. Nur hier kann sich Wachstum ereignen und nicht im Spiegel des Narzissmus, der ja Ausdruck einer Unreife ist und sich nicht auseinandersetzen will. Andere Meinungen werden unsachlich sofort abgetan. Alles drängt hier auf Homogenisierung, was nicht der Realität entspricht, denn die ist kontrovers und heterogen. Wer steckengeblieben ist, schafft den Diskurs nicht und entwickelt lauter Abwehrstrategien dagegen und lässt sich von allerlei Emotionen beuteln. Bin ich aber in der Lage, mich selbst klarer zu sehen, ist auch eine neue Sachlichkeit möglich und viele Unstimmigkeiten erübrigen sich. Letztlich wollen wir einen klaren und aufgeklärten Geist besitzen, der Problemlagen rechtzeitig erkennt und darauf reagieren kann. LeShan macht auch auf den Unterschied zwischen Symptome kurieren und heilen aufmerksam. Heil werden wir über das ganze Bewusstsein, woran wir täglich und ein Leben lang arbeiten müssen, um in einen Zustand des Glücks zu geraten, durch das wir uns dann verständigen können, um uns zu bestärken. Volles Bewusstsein schafft Klarheit, die eben auch beglückt, auch wenn die Komponenten alles andere als glücksbringend sind. Emergente Strukturen werden hier wirksam, die von den Fesseln des Unterbewusstseins befreien. Möglicherweise ist unser Gehirn und unser Geist so konzipiert.

Lawrence LeShan: Beyond Technique. Psychotherapy for the 21st Century. New Jersey 1995

Bei sich sein

Um ganz bei sich anzukommen, müssen wir die Aufmerksamkeit aus der Außenwelt hinlenken auf das Selbst nicht im Sinne einer Selbstbespiegelung, sondern einer Selbstaufmerksamkeit, die befreit von den Zumutungen und den Raum öffnet für den Wandel und die Zukunft

Karl Marx war noch sozialethisch der Meinung, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt. Aber wir haben von den Buddhisten gelernt, dass das nicht stimmt: Das Bewusstsein bestimmt das Sein. Dabei geht es nicht um den kranken Narzissmus, sondern um das reflektierte Selbst, das sich relativieren und korrigieren kann. Die Erwartungen, die wir haben und die Erwartungen, die andere an uns stellen, werden in Frage gestellt. Ich lasse los, um mich den Verletzungen zu entziehen, die unpassende Verhältnisse mir zufügen wollen, wenn ich sie nicht durchschaue und in ihre Grenzen weise. Und ich muss Grenzen setzen, um meine innere Freiheit zu sichern, die ich benötige für die eigene Wandlungsfähigkeit. Auch konstruktive Auseinandersetzungen mit anderen können ausgleichen und so in die eigene Mitte führen wie jedes kritische Selbstdenken auch bezüglich der eigenen Person. Ich will nicht den ungerechtfertigten Erwartungen anderer ausgesetzt sein und stelle das klar über eindeutige Aussagen. Ich  nehme den anderen wahr, aber ich sage auch, dass ich diese Anliegen nicht erfüllen kann. Mein Bewusstsein korreliert nicht mit einem anderen Bewusstsein, das sich nicht erforschen will und sich nicht selbst durchschaut. Wenn ich die Selbsterforschung  leiste, bleibt das auch eine Forderung an andere, die aber nur auf Einsicht beruht und kein Zwang ist.

Wahres Denken ist das Zweifeln und die Kunst, nicht zu verzweifeln

Wie wichtig diese innere Freiheit ist, merken wir, wenn wir diese Mitte verlieren durch die Verletzungen, die andere uns zufügen. Wahrheit verletzt nicht. Die Lüge verletzt und die fehlende Aufrichtigkeit. Wo jemand die Wahrheit sagt, da findet Leben statt, da kann sich etwas bewegen und sich zum Besseren ändern. Bin ich überall auf Bestätigung aus und stelle mich dauernd ins Licht, da fehlt der Raum für den Wandel. Der Mensch bleibt stecken und bespiegelt sich nur noch selbst. Wachstum ist kein Zufallsprodukt, es beinhaltet Arbeit an sich selbst. Bestenfalls haben wir Mitarbeiter, aber wir sollten uns davon nicht abhängig machen. Was nicht ist, das sollte uns nicht verzweifeln lassen. Alles, was wir brauchen, finden wir zunächst in uns selbst. Das Vertrauen, dass sich auch die Außenwelt ändert, sollten wir kultivieren. Hier hilft der Glaube und die Zuversicht in die Wirksamkeiten allen Bemühens. Ich werde gesehen und sehe die neuen Möglichkeiten. Es helfen auch nicht die langweiligen Mantras bezüglich einer Vergangenheit, sondern der Wille, dem wahren Wesen des Daseins zu begegnen ohne Maske und Verkleidung. ich muss mich nicht als etwas darstellen, was ich nicht bin und ich bin, was ich denke – kein Aufschneider und Blender, sondern ein Mahner zu mehr Wahrheit und Aufrichtigkeit, was immer den Zweifel impliziert. Das ist kein Widerspruch. Wer wirklich denkt, relativiert sich und seine Leistungen. Hier finden wir eine Ebene der Begegnung. Unterschiede im Sein heben sich hier auf. Dafür brauchen wir alle ein höheres Bewusstsein, das keine materiellen Determinanten akzeptiert. Es ist frei und lehnt alle Determinierungen auch die über Verletzungen ab. Wie sehr Verletzungen determinieren, kann man daran sehen, dass Menschen daran erkranken können. Und die schlimmste Verletzung, die uns angetan werden kann, ist die der Ignoranz. Ausgrenzung hat entwicklungsgeschichtlich in den Tod geführt. Dieses phylogenetische Programm müssen wir aber unwirksam machen, indem wir es durchschauen, uns bewusst machen.

Jenseits aller Bestätigungen und Eitelkeiten

Ich überlebe also, auch wenn mich jemand ausgrenzt aus einem Kontakt. Kontaktverweigerungen beruhen auf einer Unfähigkeit, die Änderung einer Lage herbeizuführen oder ein Bedauern zu äußern. Sie ist die ultimative Distanzierung und macht uns selbstverständlich fassungslos. Hier will jemand auf der Kluft bestehen, die aber überwindbar ist  durch die Bewusstseinsarbeit, die so vieles relativiert, was wir für absolut notwendig betrachten. Soziale Zwänge, die übersehen, dass es der Geist ist, der uns vereint und damit ein Bewusstsein über wirkliche Notwendigkeiten. Verbinden kann uns die Einsicht, dass jede ernst gemeinte und wahrhaftig betriebene Auseinandersetzung ein Gewinn ist. Hier geht es nicht um primitive Bestätigungen, sondern um den Impuls zum Weiterdenken bis in die Sphäre einer Spiritualität hinein, die uns demütig machen sollte. Wir sind nicht vollkommen, aber wir sind auf dem Weg. Selbstbeweihräucherungen auch durch andere stehen wir eher kritisch gegenüber, denn der Mensch irrt nur allzu leicht und verliert das Maß. Die weltlichen Kriterien sind gültig auf ein Man, aber nicht in Bezug auf das Selbst, das sich dort zurückzieht, wo es vorsätzlich nicht gesehen und verunstaltet wird durch ein Nichtwahrnehmen. Es gibt Vergebliches im Reich der Eitelkeiten, nicht aber im Reich des Bewusstseins. Hier kommen wir in Verbindung nach der Beseitigung des Schleiers eines nicht reflektierten Ichs, das sich nicht bewegt. Ich bin nur dann ein guter Kommunikationspartner, wenn ich nicht ständig glänzen will, sondern auch den Mangel, das Defizitäre sehen und benennen kann. Manch einer treibt auch das zu weit (ein weibliches Verhalten)  und es muss hier wieder gegengesteuert werden. So kommen wir ins Gleichgewicht und gewinnen den heilen Raum zurück, der Schwächen und Stärken erkennt und sich nicht hinter einer Fassade verstecken muss. Mentale Gesundheit kann ein langer Prozess sein, wenn man sie durch fehlende Vorsicht verloren hat. Wir müssen zwar positiv denken, können aber nicht alles schön reden und überbewerten. Ohne eine reife Spiritualität können wir dieses Gleichgewicht und diese Ausgeglichenheit kaum erreichen. Alle Bewusstseinsarbeit führt in ein spirituelles Leben und manchmal eben auch in ein Kloster.

Die Pathologie des Normalen

Das Beklagen über die Entwicklung unserer Kultur hilft wenig. Es ist Zeit, neue Ideen in die Tat umzusetzen, damit wir wieder im Einklang leben mit der Natur und ihren Gaben auch für eine gesündere Entfaltung

Beim Lesen von Erich Fromms Anatomie der menschlichen Destruktivität fällt auf, dass er reaktionäre Argumente benutzt, um die Nekrophilie Adolf Hitlers zu begründen. Ein Schulversagen als Ausgangspunkt für seine Grausamkeit zu thematisieren, verkennt, dass das wilhelminisch-preußische Schulsystem der Angst, der Selektion, der Bewertung und Benotung  kein guter Start ins Leben ist. Fromm hätte ein Schulsystem, das demütigt, kritisieren sollen und nicht die Faulheit von Hitler als Grund für sein Versagen angeben. Nach allem, was wir heute über den Menschen wissen, sollten wir die Zwangssysteme aufgeben und Systeme des Ermöglichen etablieren. Es handelt sich nicht um eine Utopie, sondern wie das Beispiel Waldorfschule zeigt, um machbare Veränderungen für eine bessere Entfaltung der Persönlichkeit, die sich nicht überall und ständig entschädigen muss für das, was man ihr antut. Hitler ist ein gutes Beispiel für die Folgen der Pathologie des Normalen, die entweder krank macht oder Menschen entarten lässt. Wir haben diese Neigung noch lange nicht überwunden und tun nichts für die Abschaffung von virulenten Selektionssystemen, die durch Abwertung die gesellschaftliche Hierarchie etablieren. Dieses hohe Potenzial der Unzufriedenheit kann man sich sparen. Wir wären alle gesünder, wenn wir über Interessen und Neigungen sowie Begabungen lernen würden und so zu ganzen Menschen heranreifen, die so manchen Sturm im Leben dann auch überstehen. Der ewige Wettbewerb hat uns in eine globale Katastrophe hineinmanövriert und trotzdem findet kein Umdenken statt. Die Angst geht um und die war noch nie ein guter und gesunder Berater.

Notwendige Reformen sind keine Utopie

Wir sind immer noch dabei, Wirklichkeiten zu schaffen, die nicht lebenswert sind, die sadistisch motiviert sind und humane Entwicklungen verhindern. Es gibt heute Unternehmen, die ganz anders funktionieren als herkömmliche. Sie beuten den Menschen nicht aus, leben von der Motivation des Einzelnen und machen nicht gnadenlos Profite auf Kosten anderer.  Aber das sind noch Ausnahmen, denn der Mensch wird auf den uneinsichtigen patriarchalen Wettbewerb gedrillt, so dass wir angehalten werden, ein Scheitern als etwas Normales zu betrachten. Aber wir können eine Welt schaffen, in der es eigentlich gar kein Scheitern gibt – nicht in der Schule, in der Ausbildung oder der Universität und nicht im Beruf.  Der Mensch sammelt dann eher Erfahrungen über sich und die Umwelt und wächst an ihnen, anstatt zu erkranken und ganz auszufallen. Es wäre so leicht, auf ein notenfreies Lernen umzuschalten. Aber man schielt angstvoll nach China, wo der Drill an der Tagesordnung ist und alles gleichgeschaltet wird. Warum fällt es so schwer, krank machende Strukturen aufzugeben für ein gesünderes und entwickelteres Leben? Welche Interessen halten ein überaltetes System aufrecht, das nicht mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen korreliert?  Es ist der Wille zur Macht und die Angst vor der glücklichen Freiheit der Menschen, die nicht nur konsumieren und ausbeuten, sondern das Leben wertschätzen und all das, was diese Erde freiwillig hergibt. Dieses Gleichgewicht ist so fundamental ruiniert, dass sich die Verhältnisse verschlimmern könnten. Gute Ernährung gibt es dann nur für die Reichen und der Rest erleidet den Mangel. Schon die Verteilung der Vermögen auf dieser Erde ist erschreckend. Einige Wenige besitzen so viel wie die gesamte Menschheit und zwingen diese zur Anpassung an krankmachende Leistungssysteme. Wir beginnen langsam, uns zu schämen für diesen vermeintlichen Wohlstand, der bei näherem Hinsehen keiner ist. Alte Menschen werden wieder zu Kindern, weil sie in einer Gesellschaft leben, in der nur die vermeintlich Produktiven zählen.

Vom Niedergang einer Kultur, die kein Verhältnis mehr zur Natur hat

Wir haben aus den friedlichen Zeiten wirklich nicht das Beste gemacht. Die Überflutung mit Technologien, die nur vom Leben abhalten und ablenken, soll darüber hinwegtäuschen, dass wir den Weg in eine neue Moderne verpasst haben. Anstatt auf künstliche Intelligenz zu hoffen, sollten wir den Menschen neu entdecken und das, was er sein könnte, wenn er ohne Gewalt, ohne Zwang, ohne Angst, ohne ständige Bewertung aufwüchse. Wenn man sich die natürliche Kreativität und Persönlichkeit von Menschen ansieht, die mit Homeschooling aufgewachsen sind, wird das Defizit deutlich. Sie haben ihre Wurzeln nicht vergessen und lassen sich nicht einpferchen in zu enge Rollen, die dann auch noch in die Krankheit führen, wenn sie nicht passen. Ein offenes System des Ausprobierens und immer wieder Anfangens in der Suche nach dem richtigen Platz im Leben wäre wünschenswert. Das zynische Aussortieren von Menschen bezeugt den Niedergang einer Gesellschaft, die viel Wissen anhäuft, es aber überhaupt nicht umsetzt. Denken und Handeln stehen in keinem gesundem Verhältnis. Wir müssten es besser wissen, aber wir scheitern an der Praxis. Was heute Normalität ist, kann morgen schon ein System der Grausam- und Unerträglichkeiten sein. Die vielen Erkrankungen sprechen dafür.  Vielleicht waren sie zu optimistisch und mussten eine Realität begreifen, die ihren erarbeiteten Werten nicht entsprach. Wir sind es, die Wirklichkeiten erzeugen, die oft nicht sinnvoll sind und schon gar nicht lebenswert. Wir entdecken viel Neues, belassen es aber beim Alten oder lassen alles Neue wieder von der Bildfläche verschwinden, weil sich keine Lobby findet. Eine bessere Welt kann es nur geben, wenn wir bei den Wurzeln anfangen, Dinge zu verändern wie dieses veraltete Schulsystem, das sich auf ein völlig obsoletes Menschenbild bezieht. Das Schulsystem des Ermöglichens und nicht des Demütigens sollte eine neue Zeit einleiten. Wann es soweit ist, bestimmen wir. Und wir generieren bessere Menschen, wenn jeder seine Chance erhält.

Erich Fromm: Die Pathologie der Normalität. Zur Wissenschaft vom Menschen. Open Publishing

Erich Fromm: Anatomie der menschlichen Destruktivität. Hamburg 1979

Endlichkeit versus Unendlichkeit

In der Natur ist alles endlich und determiniert durch Raum und Zeit und Kausalketten. Aber der Mensch kann die Unendlichkeit denken und findet sie im Kosmos bestätigt

Ludwig Wittgenstein meinte, dass die Lösung des Rätsels des Lebens in Raum und Zeit außerhalb von Raum und Zeit liegen müsse. Angesichts der Klimakrise, des Artensterbens sowie der Ausbeutung und Vermüllung des Planeten müssen wir einerseits die Endlichkeit der Natur begreifen und danach handeln. Andererseits brauchen wir den Begriff der Unendlichkeit für unsere Gesundheit und unser geistiges und spirituelles Wachstum. Damit wären viele Heilungen auch nur möglich, wenn wir die kausalen Zusammenhänge auch wieder überwinden. Kausale Zusammenhänge müssen zwar erkannt werden, aber man darf hier nicht stehen bleiben, sondern muss diese Zusammenhänge überschreiten durch eine Vorstellung des Unendlichen in Gott und Kosmos. Ohne diese Überwindung alles Kausalen bleibt alles determiniert und damit oft auch unlösbar. Alles Raumzeitliche muss also geöffnet werden durch ein Denken des Unendlichen als notwendigen Begriff für unser Seelenheil. Diese Dimension lässt sich nicht auf die Natur übertragen und man muss hier auch deutlich differenzieren, denn in Bezug auf die Natur sind wir zum schützenden Handeln aufgerufen. Verantwortung kann auch  nur dort stattfinden, wo etwas unter unseren Schutz fällt als denkende Menschen in einem Darüberhinaus des Betrachtens.

Ich darf hoffen angesichts einer prinzipiellen Offenheit

Der Mensch ist teilweise ein Naturwesen, aber eben auch ein Geistwesen, das sich mit der Unendlichkeit des Kosmos verbinden kann. Hier liegt auch der Grund für unsere Freiheit, die sich nicht eingrenzen lässt. Diese Teilhabe am Unendlichen macht uns zu einer Entität, die sich nicht im Funktionalen erschöpft. Schon Aristoteles (meines Erachtens auch schon bei den Vorsokratikern wie Anaximander) entwickelte zwei Unendlichkeitsbegriffe: das aktual und das potential Unendliche, das unseren Geist ausmacht, der sich eben nicht auf das Gehirn reduzieren lässt. Wir wissen wenig über unsere mentalen Kräfte, die aus sich heraus wirksam werden können und alle Determinierungen übersteigen. Damit ist alles Gewordene nicht etwas Endgültiges und Unerschütterliches. Wir müssen uns damit nicht identifizieren. aber wir dürfen auch die Verantwortung gegenüber der Natur nicht aufgeben. Die Unfassbarkeit des Universums darf uns nicht davon abhalten,  verantwortungsvoll zu handeln und möglichst so zu leben, dass wenig Schaden verursacht wird. Der Punkt der Irreversibilität bezieht sich nur auf die Natur, nicht aber prinzipiell auf den Menschen. Hier gibt es vieles. was uns geschadet hat, aber unser unendlicher Geist vermag uns daraus zu befreien für ein sinnerfülltes und prinzipiell offenes Leben. Wo etwas sinnentleert erscheint, hat der Geist sein unendliches Potential verloren und bewegt sich nur noch in Zwängen und Kausalitäten. So ist es ratsam, sich immer wieder mit der Idee des kosmischen Unendlichen zu verbinden, um unser Dasein zu erweitern durch neue Perspektiven. Die Unendlichkeit des Geistes liegt auch nicht außerhalb unserer Erkenntnis, denn die Wissenschaft der Mathematik operiert mit ihr.

Es geht um ein Anfangen

Wir müssen also deutlich unterscheiden, ob es um die Natur geht oder um unseren Geist, um alles Immaterielle. Die Quantenphysik kann hier eine Brücke schlagen und die Entitäten miteinander versöhnen. Harald Welzer schreibt in seinem Buch Nachruf auf mich selbst, dass wir aufgrund der Endlichkeit der Natur das Aufhören lernen müssen. Meines Erachtens geht es vielmehr um ein neues Anfangen unter veränderten Randbedingungen einer zunehmenden Verantwortung, die aber ohne Hoffnung, die sich aus dem Unendlichen speist, nicht zu haben ist. Auch das Sterben fällt leichter, wenn wir begreifen, dass alles Geistige nicht sterben kann und es deswegen auch ratsam ist, sich mit dem unendlichen Kosmos bewusstseinsmäßig zu verbinden, auch um aufgetretene Probleme so zu lösen, so dass ein Neuanfang immer möglich wird und wir uns so besser verständigen können. Ein Teil von uns muss sterben, ein anderer existiert weiter. Diese Ressource verringert die Wirkkraft negativer Ereignisse, die unser Leben so schwierig machen. Von der Idee des Unendlichen aus kann ich verzeihen – mir selbst und anderen. Bleibt alles kausal determiniert, verfalle ich dem Fatalismus und kann das Leben nicht in seiner vollen Präsenz ergreifen. Die vielen kleinen Tode, die wir durchlitten haben, führen in ein neues Leben von erwachten und voll entwickelten Menschen, die die Welt und die Natur erhalten wollen gegen den Sog der Destruktivität. Dafür bedarf es eines unendlichen Geistes, der in einer endlichen Hülle steckt, die aber nicht determiniert, wenn ich sie durchschaue. Die kann er verlassen, wenn er das dann üben möchte in Meditation und Kontemplation sowie durch die Erlangung einer Gestaltungsmacht.

Reine Analyse hat eine kafkaeske Note

Wir sehen, dass wir über die reine Analyse keine Heilung finden. Zwar verstehen wir die Zusammenhänge, aber wir kommen nicht über sie hinaus. Gerade aber die Überschreitung der kausalen Raumzeit öffnet den Raum für die neue Perspektive und für das Setzen einer neuen und heilsamen Ursache aus Freiheit, wie dies schon Immanuel Kant anmerkte gegen ein Totlaufen der Ursache-Wirkungsgesetze, die immer nur naturhaften Charakter haben. Wir bewegen uns  so in die Sackgasse und finden keinen Ausweg. Dieser Ausweg aber zeigt sich im Spiegel des Geistes mit der kosmischen Unendlichkeit, die Freiheit möglich macht und somit alle Kausalzusammenhänge auch wieder auflösen kann. Wenn etwas ganz und gar schief gelaufen ist im Leben, sind eben Fehler und Irrtümer unterlaufen, die wir durch reine Analyse nur zementieren und so die Selbstheilungskräfte aussetzen. Die Wiedergeburt, die Walter Schweidler in seinem gleichnamigen Buch für möglich hält durch Kunst im umfassenden Sinn des Lebens als Kunstwerk, kann nur im Heraustreten aus den gewordenen Zusammenhängen möglich werden. Ihr Verstehen wird dann zur Retraumatisierung, wenn ich nicht schon eine erweiterte Perspektive erarbeitet habe, die mir erlaubt, mich zu distanzieren und mich als freien Menschen zu begreifen, der nicht mit Kausalereignissen identisch ist. Ich bin weit mehr als das und habe dadurch auch die Energie, in die Potentialität zu driften, die alles Geschehene relativiert und neutralisiert – nicht unbedingt durch einen Lernprozess, aber doch in der Einsicht, dass mein Geist meine Persönlichkeit definiert und keine naturhaften Kausalvorgänge. Hier liegt die Lösung für ein Fehlverstehen der Relevanz von kausalen Erkenntnissen. Es ist nicht die Kausalität, die mich zum Menschen macht, sondern die Freiheit zum Neubeginn. Unser Gehirn ist darauf angelegt und wartet nur auf den Impuls für die Transformation der Heilung.

Walter Schweidler: Wiedergeburt. Freiburg/München 2020

Harald Welzer: Nachruf auf mich selbst. Die Kultur des Aufhörens. Frankfurt am Main 2021

Bewusstseinsenergie

Auf viele Krankheiten gibt es keine offiziellen und wissenschaftlichen Antworten, auch weil alles Geistige und Mentale schwer fassbar ist, das aber zur Heilung viel beitragen kann. Deshalb sollten wir uns den eigenen inneren Prozessen selbständig zuwenden, um die Selbstheilungskräfte zu aktivieren gegen alle Traumatisierungen und kranken Prozesse

Die Zeit heilt leider keine Wunden. Wer einmal richtig traumatisiert wurde, der muss viel Arbeit in die Überwindung dieser Erfahrungen stecken. Viele gehen ein Leben lang in die Therapie und finden doch keine Heilung, weil das eigene und innere Selbst nur über Selbsterforschungsprozesse erreichbar ist., wie sie in der Meditation und der Bewusstseinsarbeit möglich werden. In der Bewusstseinsarbeit schaut man sich genau an, was ist und was und warum so geworden ist.  Hier nehme man sich jeden Tag Zeit für diese Arbeit, damit die Zusammenhänge durchdrungen und verstanden werden können. Wenn wir das Gewordene verstanden, es klar und deutlich erkannt haben, werden auch Energien für die Heilung freigesetzt. Traumatisierungen blockieren auch das höhere Denken, das wir aber benötigen, um zu einer geistigen Energie zu kommen, die Probleme zu lösen in der Lage ist. Bewusstseinsarbeit legt dieses Denken wieder frei und schafft so die Voraussetzungen für eine freies und unbeschwertes Leben im inneren Gleichgewicht, das die eigenen Möglichkeiten dann auch wieder erweitert und herausführt aus der mentalen Enge einer Traumatisierung. Diese Arbeit soll unabhängig von einer anderen Person geschehen, denn Therapien können auch das Eigene verfehlen und verstellen und sind damit wertlos. Letztlich können sie auch nur die Selbstarbeit anregen, die eben nicht in den totalen Subjektivismus führt, sondern in die Freiheit von Unpassendem und Verletzendem zu einer objektiven Schau des Selbsts bzw. zu einer Verbesserung des Urteilsvermögens und der Generierung von Bewusstseinsenergie für die Lebens- und Gesundheitsgewinnung.

Die Krankheit zum Tode

Manche Menschen glauben, Sie hätten ein Recht zu verletzen und zerstören so den lebendigen Fluss der Begegnung, die Neues schafft und Altes hinter sich lässt. Hier ist das Leben in seiner Gestaltungstiefe am Werk und führt bestenfalls zu einem gemeinsamen Aufbau einer lebenswerten Wirklichkeit, die auch erfüllend ist. Oft aber schätzen sich Menschen falsch ein und reagieren dann auch befremdend, weil sie dieser Dynamik des Lebendigen nicht vertrauen.  Schon Henri Bergson sprach von einer élan vital,  einer seelischen Energie, die so vieles bewältigen kann und dem Leben zugewandt ist. Alle verletzenden und abtötenden Prozesse sind nicht nur nicht gesund, sondern sie können schwere Krankheiten verursachen, wenn sie nicht als defizitär erkannt werden. Wir müssen unter allen Umständen in Bewegung bleiben und uns nicht gegenseitig ausbremsen und blockieren, denn der Organismus und der Geist wollen wachsen und sich entwickeln und nicht absterben. Aber es gibt immer wieder Menschen, die tödliche Prozesse in Gang setzen und so auch Todesängste bewirken. Sie sind nicht im Fluss und ziehen andere in ihr Dilemma hinein. Die Frage ist, wie man solchen Menschen begegnet, die die Krankheit zum Tode realisieren und das Leben verweigern, den lebendigen und heilsamen Diskurs, der das eigenen Denken beflügelt. Man entlarvt sie möglichst frühzeitig, denn sie können die immer notwendige Bewusstseinsarbeit schwer behindern und gar aussetzen, wenn man sie nicht als kontraproduktiv erkennt. Letztlich ist es Erkenntnisarbeit, die wir leisten müssen, um nicht unterzugehen. Und der Mensch will sich ja auf Augenhöhe  mitteilen und nicht als unterworfener Patient oder Klient gelten. Diese Emanzipation aus allen Abhängigkeiten heraus in ein Klima der offenen Rede ist nicht für jeden begreifbar und schon gar nicht umsetzbar. Das Verstecken hinter Konventionen kann ersticken, aber für viele sind sie ein letzter Halt.

Gedankliche Bewegung für den mentalen Fortschritt

Wenn wir uns selbst gut verstehen in und durch die Bewusstseinsarbeit, verstehen wir auch andere besser und können uns besser orientieren und aufklären. Tiefe Erkenntnisse wollen und müssen mitgeteilt werden und auch in Korrelation treten mit schon ähnlich Gedachtem, was den eigenen Gedanken Auftrieb gibt. Darum muss man auch immer für das Lesen plädieren – nicht um es unkritisch zu übernehmen, sondern um es dann auch wieder modifizieren zu können für mehr Fortschritt auch und gerade in der Überwindung von Krankheiten aller Art durch eine bewusstere Lebensführung. Wer keine Diskurspartner findet, der liest eben Bücher und bleibt wachsam, denn keine Entwicklung und Entfaltung ist je abgeschlossen und beendet. Es geht weiter, die Dinge sind beweglich und lebendig, wenn ich mich nicht vor Veränderungen verschließe. Aber für alle Transformationen muss ich mich durch die Bewusstseinsarbeit vorbereiten. Sie werden dann wirksam, wenn ich nicht nur durchschauen, sondern auch erschauen kann. Ich erkenne das Potential und all die Fähigkeiten, die ich brauche, um ein erfülltes Leben zu führen. Dafür muss ich gedanklich in Bewegung kommen und bleiben und dem ausweichen, was nur ein Todesleben anzubieten hat. Kierkegaard hat die Krankheit zum Tode thematisiert und sie ist in noch so vielen Methoden, Maßnahmen und Haltungen wirksam. In diesem Sinne sollten wir sie rechtzeitig erkennen und auch kritisieren, denn sie können den Lebensnerv zerstören und Menschen in die Auswegslosigkeit treiben. Und was ist alles Denken wert, wenn es sich nicht mitteilt und anregt, um unser aller Leben genuin zu befördern- nicht als Schüler, Patient oder Klient, sondern als gleichberechtigter Partner in einem konstruktiven Gespräch zur Verbesserung der Lage – auch der allgemeinen, die ja allzu oft unerträglich ist, woran Menschen immer eine Mitschuld tragen. Mit genügend Bewusstseinsenergie können wir diese negativen Tendenzen aufdecken und verändern.

Henri Bergson: Seelische Energie. Jena 1908-1933 in: Philosophische Werke

Henri Bergson: Schöpferische Evolution. Hamburg 2014

Sören Kierkegaard. Die Krankheit zum Tode. Hamburg 1994

Die Debatte um die Sensibilität

Wir leben in Zeiten zunehmender Sensibilisierung, die sicherlich keine Regression ist, sondern ein Weg in ein achtsameres Miteinander. Statt also von Hypersensibilisierung zu reden, sollte man die Vorteile der Hochsensibilität nutzen

Svenja Flaßpöhler meint in ihrem Buch Sensibel, dass bei wachsender Sensibilität auch die Resilienz zunehmen muss, was aber ein Widerspruch ist, denn Resilienz ist ja gerade dort vonnöten, wo es ganz offensichtlich an Sensibilität mangelt. Darauf sollte man besser vorbereitet sein, denn es gibt Menschen, die wollen keine Rücksicht nehmen und die verhalten sich wie Ureinwohner ohne entwickelte Sprache. Da die meisten Probleme Beziehungsprobleme sind, müssen wir uns dahingehend sensibilisieren, andere nicht elementar zu schädigen. So können wir immer erwarten, dass mitmenschliche Verhaltensweisen gelebt werden, die uns nicht grundsätzlich vor den Kopf stoßen und so das Denken aushebeln. Wir leben noch lange nicht das menschliche Potential, das nötig wäre, um diese Schädigungen im Umgang miteinander zu vermeiden, aber wir sind in der Lage sind, hoch zu differenzieren  und können so dem Einzelnen gerecht werden. Unser Denken ist immer noch viel zu ideologisch und dogmatisch, so dass es Menschen durch Verallgemeinerungen schädigt. Es muss also eine grundsätzliche Verständigung und Vereinbarung darin geben, dass man sich nicht unterminiert. Wir alle wollen gut überleben und nicht unsere Zuversicht verlieren, dass auch schwierige Situationen gelöst werden können, weil das eben soziale Kompetenz bedeutet und die macht uns stark und letztlich auch resilient. Wir wollen keine Bollwerke gegen das Denken, sondern eine gesunde Durchlässigkeit für neue Antworten.

Es gibt kein Zuviel an Sensibilität

Sind aber einmal Krankheiten entstanden, sind diese nur heilbar über Differenzierung und damit über Individualisierung bzw. Personalisierung. Dafür bedarf es einer hohem Sensibilität, die versteht, sich in den Anderen hineinzuversetzen und die Folgen des eigenen Handelns bedenken kann. Einen weiten Horizont erhält man nicht durch Grobheiten und andere Plumpheiten, sondern durch eine hohe Intuition, die uns ermöglicht, über uns selbst hinauszusehen und hinauszuwachsen. Wo diese Fähigkeiten fehlen, wird der Mensch schnell instrumentalisiert oder gar ignoriert, wenn das Denken selbst auf dem Spiel steht. Man mag es lieber unverfänglich und begibt sich nicht hinein in das Abenteuer der Kontemplation und Reflexion, die die Differenzierung zum Ziel hat und nicht gestört werden darf. Sensibilisierung und Differenzierung korrelieren miteinander und verstärken sich. Widerstandskraft ist nur da notwendig, wo ich nur Widrigkeiten und andere Bösartigkeiten befürchten muss. Die wollen wir aber gerade durch eine Entwicklung zur Hochsensibilität verringern. Es handelt sich hier um keinen Luxus, sondern um ein Existenzial, das zu mehr Einfühlungsvermögen führt und in der Lage ist, das Mögliche vom Unmöglichen zu unterscheiden. Dieses Unterscheidungsvermögen ist auch Grundlage für unsere Entscheidungen, die aber nie Grundsätzliches in Frage stellen sollten. So müssen wir offen blieben für den Diskurs, auch wenn der an unsere Überzeugungen kratzt. Als Mensch bin und bleibe ich fehlbar und letztlich auch in meinen Urteilen angreifbar. Ich kann mich also nicht rühmen, wenn ich unmenschliche Tatsachen schaffe, die andere nur schädigen. Ich habe auch nicht das Recht, andere zu kränken. Das ist ein zutiefst gestörter Gedanke und sollte auch keine Toleranz finden. Nicht überall kann sich Liebe ereignen, aber wir sind uns immer eine gewisse Achtung schuldig. Missachtung ist Ausdruck fehlender Sensibilität meistens auf der Basis von Vorurteilen, die dann zu weiteren Unerträglichkeiten führen. Und Verletzungen, Kränkungen und Schädigungen sind keine Quellen der Inspiration, sondern häufig nur die Ursachen von Krankheiten.

Reflexion kann hoch sensibilisieren und so neue Erkenntnisse schaffen

Wenn ich also nachdenke, befinde ich mich schon auf dem Weg der Sensibilisierung, denn ich bin hier in der Lage, die Perspektiven zu wechseln und verschiedene Argumente abzuwägen. Ich muss mich selbst befragen, wie ich auf was reagiere und welches Verhalten ich mir von anderen wünsche. Kein Mensch will ignoriert und damit nivelliert werden. Es gibt Grenzen des Erträglichen und die müssen auch deutlich gemacht werden, damit Menschen lernen, sich verträglicher zu verhalten. Wer Feindbilder konstruiert, der setzt eine Kette in Bewegung, die nicht zu einer Heilung führt. Überall gibt es so Verfolger und Verfolgte. Der heilsame Gedanke kann sich  nicht durchsetzen. Aber manch einer will auch seine Machtposition ausspielen und andere determinieren, anstatt sie zu befreien für mehr Möglichkeiten. Es ist wichtig, sich solchen Menschen nicht zu unterwerfen, sondern ihnen die Stirn zu bieten und sie auf ihr Fehlverhalten hinzuweisen. Werden wir sensibler, nehmen wir viel weniger einfach hin oder antworten auf destruktive Verhaltensweisen eben nicht mit derselben Destruktivität. Wir treten heraus aus solch gestörten Zirkeln und eröffnen neues Terrain der Verständigungen aufgrund einer zunehmenden Sensibilisierung, die als Hochsensibilisierung eben auch zu neuen Erkenntnissen im Miteinander führt. So ist auch nicht der Eros die stärkste Motivation, wie dies Ken Wilber noch sehen will, sondern der Wille zum Bewusstsein, der immer ein Wille zur Erkenntnis ist und die Aufklärung darüber will, was nicht optimal funktioniert und dringend verbessert werden muss. Der Eros ist eben auch Quelle von Missbrauch, Leid und anderen negativen Emotionen und taugt nicht für das Empfinden von Verbundenheit, die vor allem zur Grundlage hat, dass wir uns nicht gegenseitig schädigen. Hier wäre schon viel erreicht. Dafür sollte sich vor allem der Einzelne selbst gut kennen und sich dort weiter entwickeln, wo es gute Gründe dafür gibt.

Svenja Flaßpöhler: Sensibel. Über moderne Empfindlichkeit und die Grenzen des Zumutbaren. Stuttgart 2021

Ken Wilber: Das Wahre, Schöne, Gute. Geist und Kultur im 3. Jahrtausend. Frankfurt am Main 2011

Neun Wege in die Gesundheit

Die Psychotherapeutin Kelly Turner thematisiert in ihrem Buch 9 Wege in ein krebsfreies Leben Faktoren, die in vielen Fällen zu einer Radikalremission geführt haben. Diese Faktoren lassen sich auch auf andere Krankheiten ausweiten

Wenn die Schulmedizin an Ende gekommen ist mit ihren Maßnahmen, ist noch lange nichts endgültig entschieden. Bei allen schweren Erkrankungen – das gilt auch für mentale Erkrankungen- ist es notwendig, die Gesundheit in die eigene Hand zu nehmen. Kelly Turner identifiziert die Faktoren wie folgt: 1. Die Ernährung radikal umstellen, also Reduzierung von Fleisch, Zucker, Milchprodukten bei viel Gemüse und Obst, 2. Die Kontrolle über die Gesundheit übernehmen, 3. Der eigenen Intuition folgen, 4. Kräuter und Nahrungsergänzungsmittel nehmen, 5. Unterdrückte Emotionen loslassen, 6. Positive Emotionen verstärken, 7. Soziale Unterstützung zulassen, 8. Die spirituelle Verbindung vertiefen, 9. Starke Gründe für das Leben haben. Diese Maßnahmen sind in der Lage, das Immunsystem zu verbessern sowie zu mentaler Stärke zu kommen, durch die der Geist die Selbstheilungskräfte aktiviert. Kelly Turner beschreibt viele Fälle von Heilungen, die die Schulmedizin aufgegeben hat. Dem Tod nahe haben die Betroffenen Selbstverantwortung übernommen und ihr Leben geändert in Richtung Gesundheitsentwicklung. Da sich die personalisierte Medizin  nicht durchgesetzt hat und viele Menschen auch nicht durch die Schulmedizin geheilt werden, wird es notwendig, an sich zu arbeiten.

Die Körpersignale verstehen

Es ist weniger die Angst vor dem Tod, als die Angst im Leben zu leiden an verschiedenen Erkrankungen. Solche Beeinträchtigungen dürfen nicht in die Resignation führen. Der Mensch muss sich nur klar machen, wie viel Macht er über sich selbst hat. Eine Gesundheitsphilosophie bezieht sich auf das Denken und Handeln in Richtung Gesundheit. Dabei ist der Glaube an die eigenen Möglichkeiten von großer Bedeutung. Ohne Komplementärmedizin kann es eigentlich keine vollständige Heilung geben. Die unterstützenden Maßnahmen münden in einem zunehmenden Bewusstsein auch den eigenen Körper betreffend, der ja auch immer die Signale sendet, die verstanden werden müssen, damit eine stabile Korrelation möglich wird. Manchmal muss das ganze Leben verändert werden, damit Gesundheit eintreten  kann. Auch Beziehungen und Partnerschaften stehen hier zur Disposition. Krankheit ist auch Ausdruck von Unstimmigkeiten, die wieder ausgeglichen werden müssen. Die dafür notwendige Bewusstseinsarbeit bei höchst möglicher Selbsterkenntnis erlaubt Transformation und energetischen Aufbau. Dabei wird innere Freiheit gewonnen für ein ausgeglichenes und gelassenes Leben. Einerseits muss man sich sensibilisieren, um zu neuen Einsichten zu kommen, andererseits muss gleichzeitig die Resilienz gestärkt werden auch für die Handlungsfähigkeit bzw. die Umsetzung der Erkenntnisse.

Das höhere Bewusstsein befreit die Energien

Je höher das Bewusstsein umso tiefer die Erkenntnisse über die eigenen Zusammenhänge, die inneres Wachstum befördern. Krebs ist auch Ausdruck eines fehlgeleiteten Wachstums. Etwas findet keinen Ausdruck, kommt nicht in die Entfaltung. Auf Konventionen kann man sich hier nicht berufen. Man muss lernen, genau hinzusehen und zu hören. Sich selbst zu verstehen bleibt hier der Auftrag. Ein 10. Faktor wäre noch die Fähigkeit zur Reflexion in Verbindung mit einer kontinuierlichen Produktivität, in der das Eigene zum Ausdruck kommt. Gesunde Entfaltung als Gegenbewegung zur Fremdbestimmung und zu fehlgeleitetem Wachstum in organischer und mentaler Hinsicht. Mentale Erkrankungen haben einen Grund, der mir nur einleuchtet, wenn ich mir die Krankheit genau ansehe und die Dinge aufgebe, die belasten.  Bewusstseinsarbeit ist ein Mittel zur Energiegewinnung, die für jeden Gesundheitsprozess unabdingbar ist. Unser Geist weiß die Lösung. Er entwickelt die Konzepte, die dann zur Heilung führen können. Ich sollte hier mir selbst ganz nah sein. Man braucht keine Unsummen für diesen Heilungsweg auszugeben. Meistens genügt schon eine veränderte Einstellung, die dann zu wirksamen Gesundheitsmaßnahmen führt. Reflektieren ist der beste Weg in ein leidfreies Leben.

Kelly Turner: 9 Wege in ein krebsfreies Leben. Wahre Geschichten von geheilten Menschen. München 2015