Vom Wert einer philosophischen Praxis

Wer hat nicht schon einmal erlebt, dass es in therapeutischen Gesprächen keine Verständigung gab. Ein Therapeut legt Wert auf ein Gefälle zwischen ihm und dem Klienten, dem schon per se nicht viel zugetraut wird. Sicher gibt es auch sehr verständnisvolle Therapeuten, aber die meisten sind ideologisch gefärbt und berufen sich auf eine Reihe von psychologischen Vorurteilen, die leider zum gesellschaftlichen Konsens gehören. Was Konsens ist, muss aber nicht immer richtig sein. Die Wahrheit ist vielschichtig und unterliegt der Fähigkeit, sie zu offenbaren in Korrelation zur Einzigartigkeit jedes Menschen und seines Problems.

Der Fokus in einer philosophischen Praxis liegt also nicht in der Einordnung stereotyper Haltungen und Ereignisse, sondern in der Herausstellung des individuellen Merkmals des Einzelnen und der  Geschehnisse. Keine Vorannahmen stören den Prozess der Wahrheitsfindung. Der betroffene Mensch wird nicht kategorisiert oder pathologisiert, sondern gerade aus diesen Korsetten, die immer auch viel Falsches beinhalten, befreit und kann so uneingeschränkt zu sich selbst kommen gegen eine Wand von Vorurteilen, die niemandem gerecht werden. Wir wünschen uns von anderen Menschen diese unvoreingenommene Sichtweise, denn sie ist die einzig humane Lösung. Aber die Realität sieht anders aus: Schwache Menschen berufen sich gerne auf Vorannahmen und verstecken ihr eigenes Unvermögen dahinter. Die Urteilskraft von Menschen ist oft etwas sehr Fragwürdiges und wenig Ausgearbeitetes. Nicht selten verbirgt sich dahinter fehlende Selbsterkenntnis.

Die philosophische Praxis ist eigentlich keine Beratung im Sinne des Besserwissens, sondern ein Akt der guten Verständigung zwischen zwei gleichberechtigten Menschen. Man will gemeinsam zu einem guten Ergebnis für das Leben kommen und alles Verstellendes entlarven. Die symmetrische Kommunikation erlaubt diesen objektiven Zugang, der das Subjekt ganz in den Vordergrund stellt, ohne es zu bewerten. Dieser Prozess der Objektivierung erlaubt Distanz, aus der heraus die Probleme gemildert werden können, damit einer Bearbeitung nichts im Wege steht. Intensives Zuhören ist notwendige Bedingung. Erst, wenn man wirklich verstanden hat, kann es zu einer Interaktion kommen, durch die Probleme bewusst werden. Der Bewusstseinsprozess muss empathisch begleitet werden, so dass dem Betroffenen Veränderung möglich wird, wenn diese gewollt ist.  Manch einer möchte aber endlich auch nur verstanden werden in seinem Leid. Und leider leben wir in einer Welt, in der Menschen wenig achtsam miteinander umgehen und erleben immer wieder Menschen, die Rücksichtslosigkeit und Unachtsamkeit rechtfertigen wollen. Die philosophische Praxis sensibilisiert aber auch für eigenes Unvermögen, sich durchzusetzen, sich gut zu positionieren und deutlich zu sagen, was man eigentlich will.  Gelingen des Lebens hat sehr viel mit Selbsterkenntnis zu tun, da wir zu sehr auf bestimmte Lebensweisen konditioniert werden. Gelingendes Leben ist selbstbestimmtes Leben. Dafür braucht man manchmal Unterstützung, um klarer zu sehen, wo die eigenen Stärken und Schwächen liegen.

Sokrates hat mit seiner Methode viel Unbehagen ausgelöst, da es auch einen Widerstand gegen Wahrheitsfindungen gibt, die gesellschaftlichen Konsens immer hinterfragen. Wer glücklich ist im einfachen Mitmachen und Anpassen, der geht wahrscheinlich nicht in eine philosophische Praxis, dem ist auch alle Philosophie suspekt, die sich ja gerade nicht korrumpieren lässt, wenn man sie ernst nimmt. Werte sind gut, aber man muss über sie auch konstruktiv streiten können und darf sie nicht absolut setzen. Das lehrt uns doch wohl die Geschichte der Philosophie. Dogmatismus hat hier nichts verloren. Man muss sie aushalten diese Dynamik des Denkens, die sich letztlich an dem Schönen und Guten im Menschen orientiert und nicht so sehr Abgründe sucht, die gar nicht vorhanden sind. Ein guter philosophischer Praktiker muss zutiefst Humanist sein, denn jeder Mensch will in seinem tiefsten Wesen erschaut und erkannt werden.

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