Leider haben wir zurzeit keine bedeutenden Berater in der Politik, die auf die nahenden Herausforderungen vorbereiten. Wie Richard David Precht in der Sendung von Markus Lanz richtig feststellte, greift die Politik die wirklich wichtigen Fragen nicht auf, vermeidet regelrecht ein Sprechen über die Probleme, die auf uns zukommen. Precht spricht von einer „Pfadabhängigkeit“ in fast allen Parteien. In was für Zeiten leben wir, wenn sich Politiker nicht mehr trauen, die Wahrheit zu sagen, d.h. vermeiden, die Probleme beim Namen zu nennen. Zu befürchten ist, dass da eben auch Gegenkräfte am Werk sind, die ihre fragwürdigen Errungenschaften (z.B. Bologna etc.) sichern wollen gegen jede Kritik und Veränderung. Der Bürger wird wieder einmal für blöd verkauft.
Der Stillstand in der Politik ist gefährlich, weil die normale Erwerbsarbeit im Zuge der Digitalisierung schwinden könnte und wir aber weiterhin Menschen für ein Arbeitsleben ausbilden, das es so bald nicht mehr geben wird. Ein Computer weiß eben einfach mehr als ein einzelner Mensch und kann Unmengen von Daten erfassen. Manch einer fragt sich, warum er noch so viel im Studium büffelt, wenn die Maschine eben doch genauer und zuverlässiger ist. Geht es heute nicht eher darum, diese Informationen kreativ zu kommentieren und sie in ein Ganzes einzubinden, was der Computer eben nicht kann? Wie lerne ich diese Fähigkeiten? Sind hier Schule und Universitäten noch die richtigen Anlaufstellen so wie sie heute konzipiert sind? Bildungszeiten wurden drastisch verkürzt, der Mensch hat einfach nicht mehr den Überblick, den er aber braucht, um mit der digitalen Welt zurecht zu kommen. Er braucht ein Wissen, wie man mit Informationen umgeht und sie zu Wissen generiert. Dafür brauchen wir kritische und sehr kreative Menschen, die die ausgetretenen Pfade eben auch verlassen können. Das braucht Zeit. Man hat den Eindruck, dass man durch die Verkürzung der Bildungszeiten genau diese Intention unterbinden will. Alles wurde auf Anpassung an ein marodes Systems gesetzt, so dass viele darunter schon leiden und gelitten haben.
Precht meinte in einem Interview: „Bei den 68ern spielten vor allem die Universitäten eine wichtige Rolle. Doch deren gesellschaftliches Potential ist spätestens seit PISA und Bologna völlig eingedampft. Es gibt diesbezüglich heute kaum langweiligere und unkritischere Orte als unsere Universitäten.“ Wie konnte so etwas geschehen? Wer waren die Drahtzieher, die die Universitäten zu höheren Schulen und Erziehungsanstalten umfunktionierten? Welches Menschenbild verbirgt sich dahinter? Unangenehme Fragen dürfen nicht mehr gestellt werden, überhaupt verlässt man sich auf ein so etabliertes Konkurrenzsystem, das nicht mehr durch neue Ideen glänzt, sondern nur noch in der Anpassung den anderen übertrumpfen will. Bildung muss unter solchen Bedingungen verkümmern, Fortschritt kann nur noch von denkenden Menschen kommen, die sich nicht einschüchtern und normieren lassen. Es sei auch daran erinnert, dass Jean-Jacques Rousseau im Gesellschaftsverrtrag die politische Legitimität durch den allgemeinen Willen, der das Gemeinwohl anstrebt, konstituiert sieht und nicht durch Gottesgnadentum.
Diejenigen, die sich für Bologna ereiferten, wollten nicht wahrhaben, dass die Zeichen der Zeit ganz andere sind, als die vorgegaukelten. Sicher, es wird immer Menschen geben, die nicht intrinsisch motiviert sind. Aber man kann viel für die Beförderung von Motivation tun. Hier sind wir längst noch nicht viel weiter gekommen. Ausgehen sollte man aber immer davon, dass der Mensch ein gelingendes Leben will entsprechend seiner Interessen und Fähigkeiten. Davon hängt auch seine Gesundheit langfristig ab. Entfaltung und Gesundheit sind aneinander gekoppelt. Wer im Leben ausgebeutet wird, der beutet auch seine Umwelt aus im Sinne von: Das steht mir zu, das habe ich mir verdient als Ausgleich für meine Entbehrungen. Wir wissen heute, dass unser Lebensmodell nicht globalisierbar ist. Die Erde wäre in absehbarer Zeit am Ende. Ein Umdenken bestünde also darin, von dieser „Noteninflation“, die Precht eine „Fehlfixierung“ nennt, wegzukommen in Richtung hin zu einer Befähigungsbildung, die sich nicht ständig in Konkurrenz zu anderen sieht, sondern jedem die eigene Entwicklung gönnt. Wenn man bedenkt, dass viele, die gute Noten haben, keine besonderen Befähigungen besitzen, dann sollte man an diesem Bildungssystem zweifeln. Der Zertifkatenwahnsinn ist Ausdruck einer Inkompetenz, Menschen einfach durch ein Tun lernen zu lassen. In diesem Zusammenhang sei auch der Freilerner André Stern erwähnt, der sich seine Berufe erarbeitet hat durch Interesse an der Sache. Und Intelligenz ist keine festgeschriebene Größe. Sie lässt sich befördern und sie kann verkümmern. Letzteres kann sich aber keine Gesellschaft leisten.
Bildung hat auch immer damit zu tun, dass ich die Anderen achte in ihren eigenen Wegen, dem Leben einen Sinn zu geben. Wer Menschen pauschal verurteilt und disqualifiziert, der hat in erster Linie ein Bedürfnis, sich zu erheben, sich als klüger, besser und leistungsfähiger zu sehen. Eventuell wurde er so programmiert. Einige Sekten und Organisationen legen es nur darauf an, Menschen in hohe Positionen zu bringen, um ihre Ideen (Ideologien) dann gegenüber Untergebenen durchzusetzen. Dieses Modell hat ausgedient, denn Menschen sind sehr komplexen Zusammenhängen ausgesetzt und müssen den eigenen Weg finden, um nicht eines Tages völlig abgehängt zu werden. Es geht nicht so sehr darum, viel zu bedeuten, aber jeder braucht seine Aufgabe und je weniger diese nur reproduziert, desto größer ist der Sinngewinn. Wer gerne lebt, der wird auch seltener krank. In diesem Sinne gibt es gerade in Deutschland viel zu tun gegen ein ständiges Aussieben, Ausgrenzen und Abhängen. Wer gelernt hat zu kooperieren, der kommuniziert. Dafür muss er jeden Menschen als gleichwertig anerkennen. Damit haben allerdings ganz viele Menschen in diesem Land Schwierigkeiten. Und wer einer schlechten Arbeit nachgehen muss, die keine oder nur wenig Entfaltung ermöglicht, der sollte wenigstens gut bezahlt werden.
Unser gesamtes Ausbildungssystem zielt wie Precht immer wieder feststellt, auf das Angestelltendasein. Noten sind die Bewertung einer Anpassung an ein System. Je besser die Noten, desto angepasster ist also ein Mensch. Diese Noten sagen nichts über sein Denk- oder Kreativitätsvermögen aus. Man muss sogar sagen, dass Bildung eigentlich außerhalb der Ausbildungsinstitutionen stattfindet. Je mehr jemand außerhalb des vorgegebenen Programms macht, desto unabhängiger ist er im Denken und um so produktiver kann er werden. Produktivität und Kreativität werden weder in der Schule noch unter Bologna gefördert. Was aber ist, wenn diese Angepassten vor einem Aus ihrer Anstellung stehen? Hier bricht dann alles zusammen. Es ging sogar vor der Einführung von Bologna so weit, dass man denjenigen, die einen eigenen Weg finden wollten, schlichtweg das Wasser abgegraben hat im Wahn, alle müssten eine vergleichbare und damit extrem angepasste Ausbildung erhalten. Das hat vielen die Gesundheit gekostet und natürlich auch die kreative Produktivität, die sie für sich erarbeitet hatten, die sich aber nicht in Noten widerspiegelt. Man generierte also wieder nur Opfer, anstatt zu profitieren von Menschen, die sich nicht anpassen und neue Wege gehen wollen und müssen. Die Einsicht in diese Notwendigkeit sollte sich dringend durchsetzen. Leider ist es so, dass ein Anpassungssystem zu einem repressiven degeneriert und damit das Kreative eliminiert. Armes Deutschland auch hier – kein Volk mehr der Dichter, Denker und Erfinder, sondern eine Horde von Lämmern, die kein Ziel vor Augen hat. Kollisionen eines Anpassungssystems mit einem Kreativitätssystem gehen zu ungunsten des letzteren aus, wenn man es nicht vor dem penetranten Zugriff schützt. In diesem Sinne wünsche man jedem ein Biotop, in dem er wachsen kann und vor der Zerstörung durch Uneinsichtige gesichert ist. Das bedingungslose Grundeinkommen wäre ein Anfang.
https://www.involo.de/2016/08/12/interview-richard-david-precht/