Die Kirche spricht im Vaterunser täglich davon, wie wichtig Vergebung ist. Aber es ist da nur so dahingesagt, der Weg dorthin ist schwierig, denn zur Versöhnung gehören immer mindestens zwei Menschen. Verweigert der Eine den Dialog, bleibt der Andere ratlos und belastet. Meistens will derjenige, der die Antworten verweigert, denjenigen weiter verletzen, der ohnehin schon verletzt ist. Es scheint, dass der Unversöhnliche weiter belasten will und kein Interesse hat an Aufklärung und Verständigung. Man muss ihm die Möglichkeit geben, über seine eigenen Verletzungen zu sprechen. Manche Belastungen machen krank, verursachen Schmerzen, auch gerade weil man weiß, dass man bezüglich Vergebung den Anderen braucht. Versöhnung heißt nicht, dass ich alles ungeschehen machen will, sondern ich kann es aushalten, ertragen, was geschehen ist, weil ich weiß, dass versöhnliche Worte heilen, dass jahrzehntelange Auseinandersetzungen, wenn sie auch einseitig gewesen sind, zu einem friedvollen Ende kommen können und die Betroffenen sich wieder als die Menschen wahrnehmen, die sie sind gegen all die Unterstellungen, Missverständnisse, Verunstaltungen, falschen Einschätzungen, Beleidigungen und Vorurteile hinweg. Die quälen Menschen regelrecht und rauben einen wichtigen Teil der Energie, die man braucht, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen und sich weiter in Richtung Gesundheit zu entfalten. Wahres Wachstum ist erst nach Versöhnung möglich. Wenn zwei Menschen sich geschadet haben, kann kein Gott die Notwendigkeit ersetzen, dass sie sich versöhnen, um frei zu werden, auch wenn sie deswegen längst nicht in allem einer Meinung sind. Alles schaukelt sich auf, wenn ein versöhnliches Ansinnen immer wieder abgelehnt wird und die Leidtragenden sich nicht an das ehemals freundschaftlich Gute erinnern, das sie verbunden hat. Rüdiger Dahlke meint, dass eine direkte Auseinandersetzung immer einer Therapie vorzuziehen ist. Aber dazu gehört ein hohes Vermögen und viel Wohlwollen.
Natürlich kann man sagen, ich habe mich in dem Anderen geirrt und er ist nicht das, was ich in ihm gesehen habe oder sehen wollte. Er ist nicht der kommunikative und offene Mensch, der sich verständigen will, von dem aus man vergeben könnte. Da geht es an das zutiefst Menschliche von uns allen, die Verletzung des inneren Raums betreffend, in dem wir geachtet und geliebt werden wollen. Die Weiterbeschädigung des inneren Raumes durch anhaltendes und enges Verweigern von Versöhnung und Kommunikation, weil man heute vielleicht anderweitig gebunden ist, bedenkt nicht, dass diese Verletzungen und auch das Verletzen überall hineinwirken, tiefe Begegnungen sogar unmöglich machen, weil da jemand die Tür geschlossen hat durch seine Verweigerungen. Das ist kein Thema, das man allein mit einem Gott ausmachen oder glauben könnte, man sei von Gottes Gnaden erlöst. Die Kraft zur Vergebung kann von Gott kommen wie auch der Wille zur Versöhnung. Aber umsetzen müssen wir das schon selbst. Wir Menschen haben das Potenzial, uns zu heilen und uns die Kraft zurückzugeben, die wir brauchen für das tägliche Leben sowie auch für die Selbstheilungskräfte. Dass etwas scheitert im Leben ist nicht das Schlimmste, aber wenn man dieses Scheitern nicht in eine höhere Form der Begegnung und Auseinandersetzung transformieren kann, bleibt es virulent. Ignoranz ist kein wahrer Friede, sondern vielleicht sogar der verletzendste Affront.
Dieser sehnliche Wunsch nach Offenheit und Versöhnung in der Hoffnung, dass man wieder diese tiefe Ergriffenheit in manchen Situationen empfinden kann, in denen Gott sehr nahe ist und die gesamte Verunstaltung durch einen anderen Menschen aufgehoben ist. Aber das reicht nicht. Keine Maxime, keine politische Haltung, keine Moral kann ein Hindernis darstellen für den Wunsch nach Versöhnung, der aufhört, dem Anderen Schlechtes anzudichten. Und hier sind Unversöhnliche sehr produktiv und scheuen nicht davor zurück, selbst Opfer zu beschuldigen. Aber es hilft ihnen nicht bei der Bewältigung, sondern vergiftet sie selbst. Ist es so schwer, wieder sehenden Auges zu werden und wieder einen Menschen zu entdecken, der unter den Verkennungen und Fehleinschätzungen vielleicht zerbrochen ist, aber der noch immer in der Tiefe seines Herzens im Licht steht. Wenn wir dieses Licht im anderen sehen, erkennen wir den Frevel der Beleidigungen und der verletzenden Worte.
Es geht nicht darum, Entscheidungen, die jemand getroffen hat, revidieren zu wollen, sondern es geht darum zu erkennen, dass sich zwei Menschen (oder einer dem Anderen) etwas angetan und die Realität völlig aus den Augen verloren haben. Versöhnung bringt die Realität zurück, so dass Achtsamkeit wieder Platz hat im Umgang miteinander und man das Unterscheidende ruhiger thematisieren kann. Daran hängt nicht mehr der ganze Mensch, es steht nicht immer alles auf dem Spiel, sondern ich kann differenzieren. Ich erinnere mich dann auch immer an den inneren Raum des Anderen, der nicht verletzt werden will und darf. Diese innerste Selbstgewissheit darf man niemandem nehmen. Und wenn etwas unklar ist, dann bleibt man vorsichtig und respektvoll und versteht den Wunsch nach versöhnlicher Beendigung eines langen Kampfes um Verstehen und um Aufklärung von schwer verletzenden und schädigenden Begebenheiten, für die man dann einen Anwalt braucht, wenn unrechtes Handeln nicht als solches begriffen wird. Wer meint, sich schädigend in die Lebensführung anderer Menschen einmischen zu dürfen, dem sollte man deutlich die rote Karte zeigen. Das hat meistens auch eine gesellschaftspolitische Komponente, die unser Zusammenleben besser regeln muss. Hier geht es um Fortschritt im Humanen.
Es reicht durchaus nicht, zur Beichte zu gehen und zu glauben, damit sei nun alles erledigt. Das ist unglaublich naiv. Zur Vergebung gehören immer zwei Menschen, die sich nicht übergehen, sondern die sich annehmen als eine Herausforderung zu Wachstum und Einsicht. Es ist doch gottgewollt, dass Menschen sich aus ihren gegenseitigen Gefängnissen befreien. Das Gefängnis der Verkennung ist eine schwere Belastung des Herzens. Dass ein Mensch, der einem mal etwas bedeutet hat, den Versuch einer Versöhnung immer wieder ausschlägt, verrät sein verhärtetes Herz und meistens auch seine Schuld. Da ist nichts mehr im Fluss. Der Mensch ist Mensch, weil er vergibt, vergeben will, aber dafür auf Entgegenkommen angewiesen ist. Alles andere ist wieder nur eine Verletzung oder eine Eintagsfliege, die nichts Grundsätzliches verändert. Wenn der Andere anfängt zu verstehen, worunter jemand leidet, wird er seine Befürchtungen, etwas könnte gegen seine Entscheidungen und gegen seinen Willen geschehen, aufgeben und durchatmen, bis sich die guten Empfindungen wieder einstellen und es möglich erscheint, dass vieles in Ordnung kommt. Vergebung ohne Versöhnung ist schwer möglich. Dafür müssen sich beide Parteien verstehen und ihre Kränkungen benennen.
Johnny Cash erinnert in seinem Lied One daran, dass wir alle Schwestern und Brüder sind und uns in dieser Liebe gegenseitig tragen können für ein harmonisches Miteinander. Dafür müssen wir miteinander sprechen.
https://www.youtube.com/watch?v=CGrR-7_OBpA&start_radio=1&list=RDCGrR-7_OBpA&t=0&pbjreload=10