Bei dem Begriff Selbsttherapie geht ein Aufschrei durch das Establishment und den Mainstream. Doch wer oft vor allem mentale Krankheiten als unheilbar deklariert, hat nicht recht.
Die Pathologisierungen nehmen zu, aber nicht die Heilungschancen im heutigen therapeutischen System. Wenn Ärzte und Therapeuten mentale Krankheiten nicht heilen können, liegt das nicht an der Art der Erkrankung, sondern an deren Inkompetenz. Dass man heute Psychotherapie studieren kann, ist kein Fortschritt, sondern ein weiterer Schritt der Anpassung ans System gegen Formen der Individualisierung und Personalisierung, die ein hohes Heilungspotenzial beinhalten. Das zeigt auch die viel beanspruchte Coacherszene. Was Schule und Universität nicht zu leisten in der Lage sind, müssen Mentaltrainer später ausgleichen, damit das Leben erfolgreich und sinnvoll wird. Ein nicht hinzunehmender Zustand. Aber es ist anstrengend, ein System zu ändern. Viel hilfreicher ist es, die Dinge in die eigene Hand zu nehmen und aktiv zu werden in Bezug auf die eigene, vor allem seelische Gesundheit. Das ist einfacher, als man denkt und wesentlich effektiver als zeit- und kostenaufwendige Therapien durch sogenannte Fachleute. Jeder ist in Bezug auf die eigene Erkrankung ein Spezialist. Kein Außenstehender kommt der eigenen Psyche so nah wie man sich selbst. Sich selbst zu erforschen und zu ergründen durch Bewusstseins- und Reflexionsarbeit bedarf einer gewissen Bildung, die aber heute fast jeder hat. Der wirklich mündige Bürger wird in Selbstverantwortung zum Fachmann und Fachfrau für sein Problem. Das ist eine hoffnungsvolle und optimistische Haltung gegenüber der Resignation einer vermeintlichen Unheilbarkeit.
Mit Papier und Stift zur Gesundheit
Viele mentalen Erkrankungen beruhen auf Verletzungen und Schädigungen durch andere auch durch unvollkommene und faschistoide Bürokratien. Die haben wir noch lange nicht gänzlich überwunden. Auch die Annahme, dass der Einzelne sich nur in sich selbst verstrickt, ist ein Vorurteil. Niemand kennt die Ursachen einer Erkrankung so gut wie der Betroffene selbst. Der benötigt nur Papier und einen Stift, um sich der Selbsttherapie zu widmen und den Dingen auf den Grund zu gehen, ohne dass ständig von außen korrigiert wird. Die Selbstkorrektur stellt sich bei einer gewissen Übung von selbst ein. Gedanken und Gefühle werden schriftlich thematisiert und werden so immer bewusster und klarer. Ein Versöhnungsprozess mit sich selbst stellt sich ein und der Mensch wird sich der Zusammenhänge immer bewusster. Es ist auch ratsam, diesen Schreibprozess mit anderen Gesundheitsmaßnahmen wie Ernährung, die die Darmgesundheit fördert (Darm und Gehirn korrelieren miteinander), und Bewegung zu kombinieren, damit auch der Körper gesundet. So kann sich der Mensch wieder ganz mit sich selbst befreunden und sein Problem in den Fokus der Aufmerksamkeit rücken. Das Thema Selbsttherapie wurde gänzlich abgewürgt und stattdessen ist eine unüberschaubare Therapeutenszene entstanden, die aber nicht über die nötigen Fähigkeiten verfügt. Es gibt sicher überall Spitzenleute, die aber oft dann auch kostspielig sind. Das kann sich nicht jeder leisten. Aber das eigene Nachdenken für sich selbst einzusetzen kostet so gut wie nichts. Wer sich die Selbsttherapie nicht zutraut, der kann selbstverständlich noch einen Therapeuten hinzuziehen, aber die Hauptaufgabe muss er/sie selber leisten, denn auch die Korrekturen stellen sich von selbst ein und der Blick wird immer objektiver, je tiefer die Erkenntnisse sind. Dieses Mindcoaching ist ein Selbstprojekt.
Heilsame Selbstzuwendung
Wer mental erkrankt ist, der hat sich selbst aus dem Blick verloren, er ist zu sehr nach außen orientiert und findet nicht den Zugang zu sich selbst, wenn er sich nicht mit den eigenen Gedanken beschäftigt. Er sieht auf dem Papier die Fortschritte. Hier sollte er sich nicht zu sehr kontrollieren, sondern den Gedanken – auch den banalen- freien Lauf lassen. So gelingt ein Aufbauprozess gegen alle Degenerierungen, die sich einstellen, wenn das Bewusstsein nicht gefördert und genährt wird. Diese Form der Selbstzuwendung ist an sich schon heilsam auch durch Autosuggestion und affirmatives Denken, das sich zeigt, wenn man sich selber ernst nimmt und es wagt, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Die Angst vor einem zunehmenden Subjektivismus sind unbegründet. Der Schreibprozess an sich ist eine realitätsfördernde Maßnahme. Die eigenen Wahrheiten kommen an das Licht und das Selbstvertrauen steigert sich mit dem Training, die passende Worte zu finden. Wer das sagen kann, was er wirklich fühlt und was ihn aus der Bahn geworfen hat, versteht diesen Einfluss auf die Psyche und kann gegensteuern. Mit dem Bewusstsein entsteht ein neues Selbstvertrauen und inneres Wachstum. Man kann an das Positive im Leben anknüpfen und das in jedem Alter. Ich brauche dafür keinen anderen. Der Anschluss an das Ureigene kann so gefunden werden und die blinden Flecke werden auch durch Selbstarbeit beleuchtet sowie auch die Schattenseiten der eigenen Existenz. Es wächst auch das Bewusstsein für die eigenen Fähigkeiten, die dann zu einem erfolgreichen Leben führen, so dass über das entsprechende Handeln die Gesundheitsentwicklung in Gang gesetzt wird. Die dafür notwendige Energie liefert immer eine universelle Spiritualität. Und Erkenntnisse setzen ganz allgemein Energien frei. Das Innerste kann wieder heilen und der Mensch wird frei für seine Vorhaben, die sich wieder deutlicher und klarer zeigen. Auch die neuen neuronalen Verschaltungen lassen sich so beeinflussen für die Überwindung von Traumata. Das Thema Selbsttherapie ist ein Zukunftsprojekt, für das intensiver geworben werden müsste, denn es beinhaltet viel Potenzial auch für die Erweckung des eigenen Potenzials für den Lebenserfolg. Und die Vorträge der Mentaltrainer sind zum Teil kostenlos im Internet aufrufbar.
Michael Mary, Henny Nordholt: Selbsterforschung, Mit sich selbst arbeiten.
Jay Earley: Meine innere Welt verstehen. Selbsttherapie mit Persönlichkeitsanteilen. München 2014
Jael Backe, Alexandra Reinwarth: Am Arzt vorbei geht auch ein Weg. Die Kraft der Selbstheilung. München 2018 1. Auflage
Bernd Krewer: Kulturelle Identität und menschliche Selbsterforschung. Die Rolle der Kultur in der positiven und reflexiven Realisierung des Menschseins. Saarbrücken 1992
Talane Miedaner: Coach Dich selbst, sonst coacht Dich keiner. München 2009
Eine Klassikerin der Selbstheilung sogar sog. schwerer psychischer Erkrankungen ist Dorothea Buck, alias Sophie Zerchin (1917-2019). Ein Zitat vom rückseitigen Einband ihres Buches „Auf der Spur des Morgenssterns. Psychose als Selbstfindung“ (Herausgeber: Hans Krieger. Neumünster, Norderstedt, 6/2016, Paranus-Verlag / Anne-Fischer-Verlag): „Der Erlebnisbericht von Dorothea Sophie Buck-Zerchin wurde zu einem Fanal im doppelten Sinn: Einerseits klagt er in überzeugender Weise eine gesprächslose und defizitorientierte Psychiatrie an. Andererseits ist er ein ermutigendes Beispiel dafür, dass eine Psychose heilbar sein kann, wenn ihr Sinn verstanden und ins Leben einbezogen wird.“ Dorothea Buck hat sich nach fünf schrecklichen Erfahrungen mit schulpsychiatrischen Therapien dadurch nachhaltig selbst geheilt, dass sie Ihre Psychosen als Träume im Wachzustand aufgefasst hat, die, wie bei anderen Menschen die Träume im Schlaf, symbolische Erkenntnis- und Offenbarungskraft haben und daher sachgemäß deutbar sind. So fand sie zu einem erfolgreichen Wirken als Bildhauerin und Kunstlehrerin sowie als Initiatorin der Psychiatrie-Erfahrenen-Bewegung. Erhältlich ist auch eine DVD mit Dorothea Buck von Alexandra Pohlmeier: https://www.himmelundmehr.de .
Ist es nicht ohnehin offenkundig, dass hinter einer schulmedizinischen Diagnose „Paranoia“ kein leerer Wahn steckt, sondern eine Nachwirkung von und Auseinandersetzung mit einst erlittener tatsächlicher Verfolgung?