Es bekämpfen sich die Rechts- und Linksintellektuellen und sind sich doch in der Kälte ihrer Schlussfolgerungen und Maßnahmen sehr ähnlich.
Es ist nicht so verwunderlich, dass der linke Germanist Helmut Lethen mit der rechtsintellektuellen Caroline Sommerfeld in einer Beziehung lebt, die meint, Schwarze könnten nie Deutsche werden. Beide beziehen sich wohl auf das Buch von Helmut Plessner Grenzen der Gemeinschaft. Lethen plädiert auch für eine Trennung in Kälte, die seiner Meinung so ohne Verletzungen auskommt und damit vernünftig erscheint. Die Kälte verweigert aber die Erinnerung an die Nähe und an die Verbindung, an die Einbettung. Sie ist Verleugnung und damit Abspaltung des einmal Gewesenen. Sicher, Menschen, die nur verletzen, muss man nicht mit Empathie begegnen, aber wir können nicht ignorieren, dass sie Einfluss nehmen und wir sie hier ermahnen müssen. Diese Einflüsse zu leugnen, bedeutet, dass man einen Teil von sich selbst ablehnt. Gesünder aber ist, sich selbst gut zu verstehen und dies auch nach außen zu kommunizieren, gerade wenn es um eine Beendigung einer Partnerschaft geht. Man ist mit jemandem einen Teil des Weges gegangen, es gab Verbindendes, das jetzt nicht bestritten werden darf. Man macht es sich leicht, indem man das überholte Leben als das falsche deklariert. In Wirklichkeit ist es nur das Überholte im Zuge einer Weiterentwicklung, die aber nicht den Werdegang ausgrenzt. So unbewusst leben denkende Menschen nicht. Es gab Anziehungspunkte, die aber nicht ausgereicht haben, um die personale Entwicklung ganz abzudecken, was letztlich krank machen kann. Wir können einen Teil von uns nicht leben. Der Mensch sucht einen Partner, der alle Facetten mitträgt und keine behindert, weil er selbst dabei nicht so gut wegkommt. Ich muss Rücksicht nehmen auf die Entstehungsprozesse und auf den Willen auch zur Unabhängigkeit: Das Personsein muss anerkannt werden.
Die Grenzen der Gemeinschaft
Auch Ehen scheitern, weil Menschen sich bestenfalls lebenslang entwickeln. Sie entdecken Neues und integrieren dies in ihr Leben oft gegen den Sog der Gewohnheiten. In solchen Phasen begegnen uns andere Menschen und wir gehen neue Verbindungen ein. Trennungen sind dann die notwendige Folge: Sie sind ehrlich und lehnen die Verlogenheit der Aufrechterhaltung ab. Die Kirche sieht das anders. Sie will auch den Bestand von Ehen, die in die Krankheit führen, weil die Möglichkeiten der Entwicklung zu stark begrenzt sind oder auch eine gewisse Gleichgültigkeit bezüglich der Entwicklungen eingetreten ist. Die Grenzen einer Gemeinschaft sind dann einzusehen, wenn die Ziele und Absichten nicht mehr übereinstimmen und die Energien in verschiedene Richtungen gehen. Konventionen sind hier eher gefährdend, weil sie keine dauerhafte Identität vermitteln. Deswegen gehen Ehen auch auseinander, in denen Kinder geboren wurden. Es geht hier nicht um Menschen, die nur ein Abenteuer suchen, sondern um existenziale und damit auch um existenzielle Entwicklungen. Wir begegnen nicht zufällig dann dem Menschen, der unserem Erkenntnisstand entspricht, den wir auch immer selbstbewusst verteidigen sollten, damit nicht aus Unsicherheit Missverständnisse aufkommen. Wir müssen also in einer freundschaftlichen Mitte bleiben, um uns nicht selbst zu verleugnen und damit die eigenen Erkenntnisprozesse. Ungünstig ist immer, wenn zwei Menschen aufeinandertreffen, die zu unsicher sind bezüglich ihrer Identität. Eine neue Identität ist aber kein Bruch mit der Vergangenheit, denn hier können wir uns selbst nicht verzeihen. Wir brauchen die Kontinuität für die Legitimation unserer Biografie und sollten Kälte besser vermeiden. Wer diese Kälte unterstellt, der ist auch zu anderen schlimmen Mutmaßungen fähig und zerstört die guten Absichten, die mit einer einvernehmlichen und wohlwollenden Trennung verbunden sind. Wer diese Absicht verkennt, macht sich und anderen nicht selten als irgendwie Betroffener das Leben zur Hölle.
Kontinuität gegen Kälte
Einer der schlimmsten Verletzungen ist die Ignoranz, der Unwille zur Auseinandersetzung. Nur im Gespräch können aufgetretene Missverständisse aufgelöst werden. Aber dazu gehört der Mut und die Zuversicht sowie ein positives Menschenbild, das der Rechtskonservative nicht besitzt. Er will den Menschen maßregeln und belehren und schreckt vor massiven Schädigungen nicht zurück. Wir kennen das auch von der extremen Linken, die den Menschen überschätzt sowie die Rechtskonservativen den Menschen unterschätzen. Sie rufen nach immer strengeren Gesetzen und Vorschriften, die aber möglichst nicht für die Mächtigen gelten sollten. Machtmissbrauch ist hier an der Tagesordnung dieser Zweiklassengesellschaft, auf deren Erhalt höchsten Wert gelegt wird. Helmut Plessner dachte, die Unergründlichkeit des Menschen sei die Öffnung für die Dimension des Politischen. Der Mensch ist komplex, aber dadurch nicht unberechenbar. Die komplexe Diversität ist die Ursache für die Demokratie, die sich ebenso entwickeln und bewegen muss wie der einzelne Mensch, um gesund zu bleiben. Wir werden uns selbst nur gerecht, wenn wir diese Dynamik erkennen und benennen können. Dieses Aushandeln darf weder im Privaten noch im Öffentlichen ins Stocken geraten, da wir hier nicht mehr in Kontakt treten für ein Begreifen des Komplexen als Komplexes und damit als Herausforderung für ein selbstbestimmtes und glückliches Leben, die Grenzen des Verstehens erweitern zu können auch für das persönliche Wachstum. In diesem Aushandeln werden wir zu ganzheitlichen Menschen mit einem weiten Horizont. Kälte hat hier nichts zu suchen, sondern die Wärme der Annäherung an den Punkt der Übereinstimmungen im Grundsätzlichen: der Garantie des freien Denkens und der Ehrlichkeit der Konsequenzen. Keine ideologische Regel kann dem Grenzen setzen, weil der Mensch hier an den höchsten Punkt des wohlwollenden Selbstdenkens kommt und Schädigungen aller Art unterlässt und vermeidet, damit sich die Menschen in der Kontinuität ihrer Entwicklung weiter entfalten und Freundschaft erhalten. Wir wollen eine hoch differenzierte Gemeinschaft und müssen dafür viel aushandeln, damit die Extreme nicht dogmatisch und falsch werden und so viel Unheil anrichten. Komplexität kennt keine einfachen Antworten und ermöglicht wertfreie Offenheit für eine neue Gesellschaft des Erschauens und des Beförderns gegen jede Form der Zerstörung von Biografien und Menschenleben durch einen meist unbegründeten Zwang zur Konvention. Die Hochkultur der Toleranz durch Verstehen und Einsicht ist ständig bedroht durch Einseitigkeit und Borniertheit. Gemeinschaft muss immer neu verhandelt werden – im Privaten wie im Öffentlichen.
Helmut Plessner: Grenzen der Gemeinschaft: eine Kritik des sozialen Radikalismus. Frankfurt am Main. 2002