Die Freude an der Arbeit und zurück zu Rousseau

Thomas Hohensee hat ein Buch geschrieben mit dem Titel Das Lob der Faulheit. Es geht hier aber nicht um das Nichtstun, sondern um die Abwehr des blinden Aktionismus. Er meint, wir sollen nachdenken über das, was wir tun und sollten uns nicht ständig verbiegen. Herauszufinden, was man wirklich gerne tut und damit auch noch seinen Lebensunterhalt verdient, kann glücklich machen. Deutschland hat vermeintlich das beste Gesundheitssystem der Welt und prozentual die meisten Kranken. Da fällt wohl jedem auf, dass hier etwas im Lande nicht stimmt. Preußische Tugenden wie Disziplin und Fleiß sieht Hohensee besonders kritisch, denn sie sind Ausdruck von Zwang und Fremdbestimmung, die früher oder später eben krank machen oder doch sehr, sehr unglücklich, denn man erfüllt nur anderer Leute Vorstellungen und hat nicht seine Fähigkeiten optimal entwickelt, die sich durch Motivation und Freude an der Arbeit auszeichnen. Die dritte industrielle Revolution (gleichnamiges Buch) , die sich nach Jeremy Rifkin als lateraler Markt in und durch Vernetzung von Mikrokraftwerken ohne fossile Brennstoffe etablieren könnte, bedarf anderer Einstellungen und vor allem der Fähigkeit zum Selbstdenken, Selbstorganisieren und der Reflektion, die reines Funktionieren infrage stellt, wie Armin Nassehi in Muster andeutet.

Wir rühmen uns damit, dass wir es doch weit gebracht haben und heute ein bequemes Leben als selbstverständlich betrachten. Vieles ist einfacher geworden, aber wir sehen, dass wir einen hohen Preis gezahlt haben und nun mit dem Klimanotstand oder -notfall  konfrontiert sind. Haben wir es zu weit getrieben oder wurde zu lange unter den Teppich gekehrt? Nun, dasselbe gilt für unser Ausbildungs- und Bildungssystem, das sich den veränderten Bedingungen nicht anpassen will. Wir bleiben hier weitgehend unaufgeklärt und machen so lange weiter, bis das nächste System an die Wand fährt. Es gibt optimistische Utopien, die eine Realisierungschance haben, wenn man sie denn endlich auch als praktikabel einsehen würde. Und eine dieser Utopien ist die Tatsache, dass Arbeit sehr viel Spaß machen kann, wenn man das Verbildungssystem endlich aufgeben würde und im Rousseauschen Sinne die Menschen in ihren natürlichen Fähigkeiten befördern und unterstützen und nicht durch ein überholtes Leistungssystem aussortieren, frustrieren oder sogar schädigen würde. Die Freilerner wissen, dass nur die Bildung wirklich zählt, die von eigenem großen Interesse begleitet ist. Hier hat der Mensch dann auch später Erfolg und muss sich nicht unter seinem Wert verkaufen.  Solange aber ein Zwangsstaat Menschen zur entfremdenden Arbeit anweist, solange wird es auch eine Zunahme von Erkrankungen geben, die man auch als Folge der Nichtentfaltung betrachten muss. Schließlich kann der Hase auch nicht fliegen und ein Schule, die von ihm dies verlangt, ist eigentlich nur grausam und initiiert das Scheitern.

Menschen wollen aber erfolgreich sein mit dem, was sie tun und auch genügend Geld verdienen. Das ist im Zeitalter der Digitalisierung wirklich nicht zu viel verlangt. Die künstliche Intelligenz kann vieles besser als der Mensch, aber sie kann nicht nachdenken und sie ist nicht kreativ. Es sollte sich auch herumgesprochen haben, dass Kreativität glücklich macht. Und würde die BRD endlich auch das Glück in die Verfassung aufnehmen, wären wir schon einen Schritt weiter in der Menschenkunde. Denn der Mensch will  nicht herumhängen, sondern er möchte sinnvolle Arbeit tun und in Kontakt mit anderen sein. Letztlich will er sich bewegen und sich ein Leben lang entwickeln, wenn er gesund ist. Diese Erkenntnisse muss ein Staat auch umsetzen, anstatt auf einer Leitkultur bestehen, die als reine inhaltslose Leistungskultur veranschlagt wird. Wer hier nicht mitmacht, wird geächtet. Aber wir brauchen mehr und mehr Menschen, die sich über ihr Tun Rechenschaft ablegen, um noch in den Spiegel schauen zu können und sich vielleicht wieder selbst entdecken. Die Entfremdungsmechanismen sind sehr virulent und manch einer wacht erst nach dem ersten Herzinfarkt auf, der ja eine Vorgeschichte hat. Könnte nicht alles ein wenig entspannter und natürlicher ablaufen, so dass wir zu einem neuen Verhältnis zu uns selbst kommen, dass sich in dem demokratischen Willen äußert, nicht mehr alles mitzumachen und sich alles gefallen  zu lassen, was man so als notwendig und unabdingbar deklariert?

Hohensee schreibt: „Trotz Disziplin und Fleiß haben wir keinen sozialen Frieden in Europa, kein Gesundheitssystem, das zu völligem körperlichen, geistigen und sozialem Wohlbefinden führt, keine Schulen, die die SchülerInnen zu einem glücklichen, zufriedenen Leben befähigen, keine Justiz, die Gerechtigkeit schafft, keine Politik, die das Wohl der Allgemeinheit garantiert, keine Wirtschaft, die unser Überleben dauerhaft sichert. “ Das Leben muss also wieder zur Besinnung kommen : Die vita activa muss durch die vita contemplativa ergänzt und bewertet werden, damit wir zu wirksameren Einsichten und Entscheidungen fähig werden, die dann eine andere Politik ermöglichen, die gerechteren Wohlstand und damit auch zu besserer Gesundheit führt, denn Armut ist ein hohes Krankheitsrisiko und darf außerhalb eines Klosters nicht schön geredet werden. Der Mensch als Bürger ist nicht der besinnungslos Aktive, sondern der Nachdenkende und Verstehende.

Thomas Hohensee: Das Lob der Faulheit. Gütersloh 2012. 1. Auflage

Armin Nassehi: Muster. Theorie der digitalen Gesellschaft. München 2019

Jeremy Rifkin: Die dritte industrielle Revolution. Frankfurt am Main. 2011

Jean Jacques Rousseau: Emile oder über die Erziehung. Paderborn 1975. 3. Auflage

Jean Jacques Rousseau: Vom Gesellschaftsvertrag oder Prinzipien des Staatsrechts. Stuttgart 1978

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