Wachstum ermöglichen

Schopenhauer wusste, dass die meisten Beziehungen aus Selbstsucht geschlossen werden. Da kauft man der Freundin Goldketten für die erwiesene Gunst, anstatt sich zu fragen, was dieser Mensch braucht, um zu wachsen und zu sich selbst zu finden. Die Idee, dass man nur durch einen anderen zu sich selbst käme, entspricht nicht der Realität. Ein Partner unterliegt der Selbstsucht des Eros und ordnet meistens alles andere dieser Haltung unter. Die eigenen Bedürfnisse stehen also im Vordergrund. Nicht selten ist dieser Egoismus dann an Narzissmus gekoppelt. Man akzeptiert nur das Eigene im anderen und empfindet das Verschiedene als Bedrohung und selten als Bereicherung, als eine Herausforderung für Entwicklung. Ja, der Mensch ist schwach und will so gar nicht stärker werden im Laufe des Lebens, zu bequem ist der Weg der Eliminierung von Unterschieden. Aber die gibt es trotz aller Gleichheit und wird dann als Gefährdung erlebt, wenn die verantwortungsvolle Liebe für den Anderen nicht in den Vordergrund tritt auch auf die Gefahr hin, dass Trennendes entsteht und man neu beginnen muss mit der Liebe und dem Vertrauen. Wachstum und Entwicklung gehören zu den gesunden Bedingungen menschlichen Daseins. Wo der Mensch unterdrückt oder gewalttätig in  ein Korsett gezwängt wird, fehlt es an Selbstbewusstsein des Verursachers, der selbst den Partner nicht in die Freiheit des Selbstseins entlassen kann, weil er gesellschaftliche Zwänge internalisiert hat und alles auf eine Linie bringen möchte. Wer sich entfaltet hat, gönnt auch anderen die Entfaltung des eigenen Potenzials. Und nicht jeder Weg ist ebenmäßig.

Viele Beziehungen werden beendet, weil der Reiz des selbstsüchtigen Eros erlahmt und an diese Stelle keine tiefe seelische Liebe getreten ist. Menschen sind nicht in der Lage, den Anderen als Herausforderung zu erkennen, selbst zu wachsen und zu reifen. Dieser Prozess ist nie abgeschlossen, kann sich bis ins hohe Alter fortsetzen, wenn man durch die Einzigartigkeit eines Menschen fasziniert bleibt und er auch dadurch den Erfolg durch Inspiration im Leben hat, den er sich wünscht. Nicht Neid und Missgunst vergiften die Partnerschaft, sondern liebevolle Freundschaft des Verstehens der wahren Bedürfnisse nach persönlichem Wachstum bei entsprechenden Erkenntnissen. Wenn ich die Schwäche im anderen entdecke, muss ich nicht überheblich werden, sondern begreifen, wo die eigene Schwäche liegt, die den Anderen wahrscheinlich auch irritiert. Jeder Mensch hat Schwächen, sie an sich selbst zu leugnen ist extrem unreif und wenig reflektiert. Der Eros als solcher ist nicht in der Lage, Ordnung zu schaffen, die wir Menschen brauchen, um die Sicherheit zu gewinnen, dass auf den anderen Verlass ist. Wenn ich die eigenen Bedürfnisse also zurückstellen kann, damit der andere sich entfaltet, bin ich auf einem guten Weg zu wahrer Liebe, die geben kann und nichts wegnimmt.  Nimmt man dem Anderen die eigenen Chancen, beruht dieses Verhalten nicht nur auf überdimensionaler Selbstsucht, sondern auf Verachtung und ist damit das Gegenteil von Liebe. Ich will den Anderen nur so akzeptieren, wie ich ihn mir vorstelle, aber nicht, wie er ist in seinem Suchen und seinem Zweifeln.

Es ist der liebevolle Wunsch, den Anderen wirklich zu erkennen und zu erfassen, anstatt ihn zu unterwerfen. Wer unterwirft, der hat selbst ein Problem mit der Macht. Geiermäßig hackt er in den Unzulänglichkeiten anderer herum, ohne die eigene zu antizipieren. Dieses Eingeständnis macht vorsichtig, gütig und großzügig. Die Güte eines Menschen erkennt man also nicht an seiner Selbstsucht, sondern am Verstehen dessen, was dem Menschen widerfahren kann, wo er sich durcharbeiten muss, um nicht den Halt zu verlieren. Jemandem den Halt im Leben zu nehmen ist ein brutaler Akt der psychischen Vergewaltigung. Man dringt erst in den innersten Raum eines Menschen ein und zerstört dann diese innere Burg wie ein Trojaner, weil der Andere nicht das tut, was man von ihm erwartet. An diesem Punkt sucht jeder gesunde und entwickelte Mensch das Gespräch, die Verständigung, anstatt einen Schaden zu verursachen. Wahre Liebe kann gar nicht schädigen, so sehr ist sie vom anderen ergriffen und ein Teil seiner Sorgen und ein Teil seiner Sehnsucht nach der Harmonie des Selbst- und Mitsein, das in ständigem Dialog sich an ein Ideal annähert, das trägt und erkennt. Wer also seinen Partner erschauen kann, der erfährt auch das Glück tiefer Dankbarkeit und Erlösung. Der nicht zu sich selbst Gekommene ist eine Belastung für die Gesellschaft, weil er in Bezug auf andere ausgrenzend, restriktiv und repressiv wird.

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